arrow left
Alle News

Deutsche Wachstumsschwäche – mehr oder weniger Staat erforderlich?

,
Minuten

In den letzten Wochen und Monaten war viel darüber zu lesen und zu hören – nicht nur hierzulande, sondern auch im Rest Europas und sogar weltweit: Die deutsche Volkswirtschaft trage die „rote Laterne“ oder sei der „kranke Mann“ Europas, wie übrigens schon einmal Mitte der 1990er Jahre. Hintergrund damals wie heute: Das Wirtschaftswachstum bleibt derzeit deutlich hinter den Erwartungen zurück. Wie so oft überschlagen sich dann sehr schnell die unterschiedlichsten Vorschläge, wie diese Malaise zu lösen sei.

Deutschland fast Europas Schlusslicht

Bevor jedoch entsprechende vorschnelle Maßnahmen ergriffen werden, lohnt es sich in aller Regel – so auch bei der derzeitigen Wachstumsschwäche –, genauer hinzusehen, was überhaupt die möglichen Gründe hierfür sind. Konkrete Einzelursachen lassen sich aktuell schnell identifizieren: schwächelnde Weltwirtschaft, Krieg in der Ukraine, durch hohe Inflation verunsicherte Verbraucherinnen und Verbraucher, einbrechender Immobilienmarkt, zu geringe Investitionen und ganz grundsätzlich fehlende Innovationen aufgrund unzureichender Rahmenbedingungen. In vielen Fällen, möglicherweise ohne es überhaupt zu merken, spricht man dabei allerdings über zwei grundverschiedene Ursachen der Wachstumsschwäche und damit natürlich auch über unterschiedliche Lösungen, sie zu überwinden.

Konjunktur und Potenzialwachstum

Für eine Unterscheidung der beiden möglichen Quellen der aktuellen Wachstumsschwäche müssen wir ein bisschen tiefer in die Theorie volkswirtschaftlichen Wachstums eintauchen. Allgemein bekannt dürfte sein, dass das Wachstum einer Volkswirtschaft anhand der Veränderung des Bruttoinlandsprodukts (kurz: BIP) gemessen wird – also der zu Marktpreisen bewerteten Summe aller in einer Volkswirtschaft im Laufe einer definierten Periode (meist eines Jahres) produzierten Waren und Dienstleistungen. Dieses Wachstum lässt sich nun in zwei Komponenten zerlegen: eine konjunkturelle und eine trendmäßige. Diese unterscheiden sich in ihrer Beziehung zum sogenannten Produktionspotenzial.

Das Produktionspotenzial ist – vereinfacht gesprochen – der Wert des Bruttoinlandsproduktes, der sich ergibt, wenn alle in einer Volkswirtschaft vorhandenen Produktionsfaktoren, insbesondere Arbeit und Kapital, vollständig zur Produktion eingesetzt werden. Es entspricht somit dem potenziell möglichen BIP bei Auslastung aller Produktionskapazitäten. Das Trend- oder Potenzialwachstum ist nun der Zuwachs eben dieses Produktionspotenzials im Zeitablauf. Die konjunkturelle Komponente des Wachstums beschäftigt sich demgegenüber mit der Frage, inwieweit das vorhandene Produktionspotenzial auch tatsächlich ausgelastet ist. So lässt sich das gesamte BIP-Wachstum eines Jahres aufteilen in eine Trendkomponente (also Änderung des Produktionspotenzials) und eine Konjunkturkomponente (Änderungen in der Auslastung des Produktionspotenzials).

Gesamtwirtschaftlches Wachstum, Trend- und Konjunkturkomponente in unterschiedlichen Szenarien

Diese Unterscheidung der unterschiedlichen Komponenten des Wirtschaftswachstums ist für die Analyse möglicher Gründe der vorliegenden Wachstumsschwäche sehr hilfreich. Denn die Faktoren, die z. B. zu einem niedrigeren trendmäßigen Wachstum führen, unterscheiden sich von denjenigen, die für ein geringeres konjunkturelles Wachstum verantwortlich sind, erheblich. Und selbstverständlich sind dann auch die daraus abzuleitenden Gegenmaßnahmen ganz unterschiedlicher Natur.

Strukturelle Probleme müssen dringend gelöst werden

Vor diesem Hintergrund stellt sich nun die Frage nach den wichtigsten Ursachen der aktuellen Wachstumsschwäche. Sind es tatsächlich die eingangs erwähnten konjunkturellen Ursachen rund um ein schwächeres Weltwirtschaftswachstum oder doch eher strukturelle Probleme und unzulängliche, wachstumshemmende Rahmenbedingungen, die das Produktionspotenzial schwächen? Haben wir es also vorrangig mit einer „nur“ konjunkturell bedingten Wachstumsschwäche zu tun, oder verbergen sich dahinter vielmehr ernsthafte Probleme, die auf das Trendwachstum ausstrahlen? Dass derzeit beides Probleme bereitet, ist offensichtlich.

Doch völlig unabhängig davon, welche der beiden Komponenten aktuell überwiegt: Ein für Unternehmen zunehmend unfreundliches Umfeld (hohe Steuerbelastung, ausufernde Bürokratie, anhaltende Innovationsschwäche, teils marode öffentliche Infrastruktur, hohe Energiekosten, Arbeitskräftemangel) ist als maßgeblicher Bremser des Trendwachstums kaum von der Hand zu weisen. Speziell bei den aufgelisteten Problemfeldern sind beherzte und effektive Gegenmaßnahmen zwingend erforderlich – je eher, desto besser. Verglichen damit sind kurzfristig wirkende konjunkturstützende Maßnahmen (meist auf Pump finanziert) sekundär. Nicht zuletzt deshalb, weil sich Probleme bei der konjunkturellen Komponente des Wachstums meistens mit der Zeit von selbst erledigen – Konjunkturzyklen kommen und gehen.

Staatliche Eingriffe: so viel wie nötig, so wenig wie möglich

Bei der Frage nach konkreten möglichen Maßnahmen zur Überwindung der deutschen Wachstumsschwäche ist ein Ruf derzeit besonders oft und besonders laut zu vernehmen – derjenige nach Vater Staat. Das ist zwar in gewisser Weise nachvollziehbar und angesichts der erwähnten strukturellen Probleme auch häufig angebracht. Allerdings droht dabei die Gefahr, dass der Staat am Ende eine zu große wirtschaftliche Rolle einnimmt. Allzu oft (und in der jüngeren Vergangenheit sogar besonders häufig) neigen die staatlichen Entscheidungsträgerinnen und -träger dazu, die Wirtschaft bzw. die Unternehmen mit unmittelbaren und sehr weit reichenden Eingriffen (auch in operative Prozesse) retten zu wollen. Dies kann zwar in Einzelfällen gelingen, ist aber letztlich zum Scheitern verurteilt und am Ende sogar schädlich. Staatliche Akteure sind keine Unternehmer und verhalten sich auch nicht wie diese.

Obwohl es – wie bereits erwähnt – auch Bereiche gibt, in denen der Staat eine wichtige und konstruktive wirtschaftliche Rolle spielt, können die vor uns liegenden gewaltigen Herausforderungen nicht mit einem Weniger an Markt und einem Mehr an Staat bewältigt werden. Denn dafür braucht es Innovationen, Investitionen und Initiative. Das lässt sich nicht staatlich verordnen oder administrieren. Vielmehr muss der Staat ein positives Umfeld hierfür schaffen: einen optimalen Rahmen zur Entfaltung der zweifelsohne vorhandenen Wachstumskräfte unserer marktwirtschaftlichen Ordnung. Hier gibt es erhebliche Defizite und für die öffentliche Hand wahrlich genug zu tun.

Fazit

Grundsätzlich gilt: Je größer die Herausforderungen, desto mehr Markt brauchen wir für deren Lösung. Diese Erkenntnis ist nicht neu, aber aktueller denn je. Doch leider ist sie bei vielen handelnden Personen noch nicht angekommen.

Autor: Prof. Dr. Stefan May, Leiter Anlagestrategie und Produktentwicklung der Quirin Privatbank

 

Auch unsere Anlagestrategie beruht auf der Kraft des Marktes. Wie Ihre Geldanlage davon profitiert, lesen Sie in unserer kostenfreien Marktstudie. Jetzt bestellen.

Studie bestellen

 

Disclaimer/rechtliche Hinweise

Der Beitrag ist mit größter Sorgfalt bearbeitet worden. Er enthält jedoch lediglich unverbindliche Analysen und Erläuterungen. Die Angaben beruhen auf Quellen, die wir für zuverlässig halten, für deren Richtigkeit, Vollständigkeit und Aktualität wir aber keine Gewähr übernehmen können. Die Informationen wurden einzig zu Informations- und Marketingzwecken zur Verwendung durch den Empfänger erstellt und können keine individuelle anlage- und anlegergerechte Beratung ersetzen.

Die Informationen stellen keine Anlage- Rechts- oder Steuerberatung, keine Anlageempfehlung und keine Aufforderung zum Erwerb oder zur Veräußerung dar. Die Vervielfältigung und Weiterverbreitung ist nicht erlaubt. Kein Teil darf (auch nicht auszugsweise) ohne unsere ausdrückliche vorherige schriftliche Genehmigung nachgedruckt oder in ein Informationssystem übertragen oder auf irgendeine Weise gespeichert werden, und zwar weder elektronisch, mechanisch, per Fotokopie noch auf andere Weise.

 

Disclaimer/rechtliche Hinweise

Der Beitrag ist mit größter Sorgfalt bearbeitet worden. Er enthält jedoch lediglich unverbindliche Analysen und Erläuterungen. Die Angaben beruhen auf Quellen, die wir für zuverlässig halten, für deren Richtigkeit, Vollständigkeit und Aktualität wir aber keine Gewähr übernehmen können. Die Informationen wurden einzig zu Informations- und Marketingzwecken zur Verwendung durch den Empfänger erstellt und können keine individuelle anlage- und anlegergerechte Beratung ersetzen.

Die Informationen stellen keine Anlage- Rechts- oder Steuerberatung, keine Anlageempfehlung und keine Aufforderung zum Erwerb oder zur Veräußerung dar. Die Vervielfältigung und Weiterverbreitung ist nicht erlaubt. Kein Teil darf (auch nicht auszugsweise) ohne unsere ausdrückliche vorherige schriftliche Genehmigung nachgedruckt oder in ein Informationssystem übertragen oder auf irgendeine Weise gespeichert werden, und zwar weder elektronisch, mechanisch, per Fotokopie noch auf andere Weise.

Über den Autor

Hören Sie passend zum Thema unseren Podcast „klug anlegen“

Das könnte Sie auch interessieren

Ampel-Aus: Was uns im Wahlkampf wirtschaftspolitisch erwartet
November 22, 2024
Inside Quirion
Finanzwissen

Ampel-Aus: Was uns im Wahlkampf wirtschaftspolitisch erwartet

Weitergeben oder verprassen? So (ver)erbt Deutschland
November 15, 2024
Inside Quirion
Finanzwissen

Weitergeben oder verprassen? So (ver)erbt Deutschland

TRUMP 2.0 – erneut kein Renditekiller?
November 8, 2024
Inside Quirion
Finanzwissen

TRUMP 2.0 – erneut kein Renditekiller?

Jetzt anlegen und Vermögen aufbauen.