Solche Überfliegerjahre bringen meiner Beobachtung nach immer eine besondere Begleiterscheinung mit sich: Die Anlageklasse, die aktuell oder in jüngster Vergangenheit überdurchschnittlich gut gelaufen ist, wird in der allgemeinen Wahrnehmung immer beliebter. Dieses Phänomen ist derzeit nicht nur bei Aktien zu beobachten, sondern insbesondere auch bei Kryptowährungen, die noch spektakulärer angestiegen sind.
In solchen Hype-Phasen stehen vor allem die Renditechancen des jeweiligen Anlageobjektes stark im Fokus, die entsprechenden Risiken geraten dabei gerne in Vergessenheit. Etwas provokanter formuliert: Wenn die Kurse steigen, denken alle nur noch an die Rendite, wenn sie fallen, nur noch an das Risiko. Das ist letztlich auch der Kern des FAS-Artikels „Aktien als Risikofalle“1, der Anfang Januar erschienen ist. Demnach setzen immer mehr Anlegerinnen und Anleger jetzt offenbar auf Aktien – womöglich sogar ausschließlich –, insbesondere auch aufgrund der unter dem Strich schwachen Performance von Anleihen in den letzten Jahren.
Doch eine Aktieneuphorie, die nur entstanden ist, weil Aktien in der jüngsten Vergangenheit so gut gelaufen sind, birgt die Gefahr, dass die überzogenen Erwartungen enttäuscht werden. Denn der Aufschwung der letzten Jahre ist kein Garant dafür, dass das auch in den kommenden Jahren so sein wird. Im historischen Verlauf hat es immer wieder Krisen gegeben, in denen die Aktienmärkte erheblich eingebrochen sind, oder auch länger andauernde Phasen, in denen sie sich seitwärts entwickelt haben. Deshalb ist ein Portfolio, das ausschließlich aus Aktien besteht, nicht für jedermann geeignet. Denn die Kursrückgänge können so gravierend ausfallen, dass sie die Risikotragfähigkeit vieler Anlagerinnen und Anleger übersteigen.
Ich würde sogar noch weiter gehen und sagen: Wenn man aus einer Aktienanlage eine „0-oder-1-Entscheidung“ macht, dann sind viele Anleger im Grunde vom Kapitalmarkt ausgeschlossen. Und das kann niemand wirklich wollen. Deshalb braucht es Möglichkeiten, in Aktien zu investieren, ohne dass Anlegerinnen und Anleger das volle Aktienrisiko eingehen müssen. Und genau das funktioniert durch die Beimischung von Anleihen. Dadurch kann das Risiko eines Gesamtportfolios an die Risikotragfähigkeit des Kunden angepasst werden. Die wichtigste Aufgabe von Anleihen im Rahmen eines Gesamtdepots ist daher die eines Risikoregulators, mit dem das Gesamtrisiko gesteuert werden kann.
Diese Funktion wird exemplarisch durch die folgende Grafik illustriert, in der wir die Wertentwicklung seit dem Jahr 2000 (in logarithmischer Skalierung) einer reinen Aktienanlage der einer 50:50-Mischung aus Aktien und Anleihen gegenübergestellt haben.
Es wird deutlich, dass sowohl die durchschnittliche Schwankungsbreite als auch die extremen Einbrüche bei der Mischung deutlich geringer ausfallen.
Dieser Effekt zeigt sich auch in den Risikokennzahlen unserer eigenen Anlagestrategien, mit deren Hilfe wir das Risiko des Gesamtdepots an die Risikotragfähigkeit der Kunden anpassen. Liegt die seit 2012 gemessene historische Volatilität unseres 100%igen Aktienportfolios bei 12,34 % p. a., ist sie mit 6,96 % p. a. bei einer hälftigen Aufteilung in Aktien und Anleihen deutlich geringer. Ein analoges Bild zeigt sich beim Vergleich der Maximalverluste seit Höchststand: Hier steht ein Vermögensrückgang von über einem Drittel einem Fünftel gegenüber. Andererseits ist die Wertentwicklung des reinen Aktiendepots insgesamt höher: Sie liegt mit einem Plus von knapp 9 % ungefähr doppelt so hoch wie die des 50:50-Mischdepots.
Wer also Anleihen jetzt schlechtredet, weil sie in den letzten Jahren insgesamt – insbesondere bedingt durch das außergewöhnlich schwache Anleihejahr 2022 – keine Renditen gebracht haben, lässt einen ganz wichtigen Vorteil außer Acht, nämlich ihre Rolle als Risikoregulator. Und damit auch ihre Funktion als Möglichmacher: Erst die Beimischung von Anleihen macht eine Aktienanlage für viele Anlegerinnen und Anleger überhaupt erst tragbar – eine reine Aktienanlage ist für die meisten vermutlich nicht geeignet.
Eine Vermögensanlage ist aber eben in den meisten Fällen keine „Entweder-oder-Entscheidung“, sondern man sollte auf beide Anlageklassen setzen – auf Aktien als Renditebringer und auf Anleihen als Risikopuffer. So können unsere Kundinnen und Kunden die prozentuale Zusammensetzung ihres Depots in 10 %-Schritten selbst bestimmen, also beispielsweise etwa 60 % Aktien und 40 % Anleihen. Für uns stellt sich nicht die Frage, ob das eine oder das andere, sondern wir setzen auf beides: Aktien und Anleihen funktionieren am besten im Doppel. Dann nutzen Sie nicht nur die Renditepotenziale, sondern haben auch die Risiken im Griff.