Aus der Reihe: Was Sie getrost weglassen können
Manchmal habe ich das Gefühl, einige Marktteilnehmer schaffen sich ihre eigene Realität. Dieser Eindruck drängte sich mir neulich auf, als ich zwei Überschriften zu ein und demselben Thema gelesen habe, die unterschiedlicher nicht hätten sein können.
In beiden Artikeln ging es um Finanzinstitute, die wir alle kennen: die Sparkassen. Diese werden selten müde zu betonen, dass sie ganz gezielt für Kundinnen und Kunden aller Einkommens- und Vermögensschichten da sein wollen, sich aber ganz besonders um die Menschen kümmern, die wenig(er) Geld haben. Eine Aufgabe, die die Sparkassen sich dabei ganz explizit auf die Fahne geschrieben haben, ist die Vermögensbildung ihrer Kundinnen und Kunden.
In der Eigenwahrnehmung der Sparkassen tun selbige auch genau das. So schreibt der Präsident des DSGV, des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, Ulrich Reuter, vor wenigen Wochen in einer hauseigenen Pressemitteilung: „Die Häuser (die Sparkassen) haben die Zinswende bewältigt, die Wirtschaft in den Regionen stabilisiert und die Menschen aus allen Bevölkerungsschichten bei der Vermögensbildung unterstützt.“[1]
Die Sparkassen haben die Menschen bei der Vermögensbildung unterstützt? Mit Blick auf aktuelle Zahlen, die der Branchen-Newsletter „Finanz-Szene“ am 12. März 2024 lieferte, ist diese Aussage äußerst fragwürdig.[2]
Denn die Vermögensbildung der Sparkassen-Kundinnen und -Kunden ist im letzten Jahr eingebrochen.
Lag diese 2020 noch bei etwa 100 Milliarden Euro, ist sie in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen. 2023 haben die Sparkassen-Kundinnen und -Kunden nur noch 26 Milliarden Euro an neuem Vermögen gebildet. Halten wir also fest: Die Sparkassen tragen immer weniger zur Vermögensmehrung ihrer Kundschaft bei. Noch erschreckender ist dieser Rückgang, wenn wir die durchschnittliche Vermögensbildung aller Deutschen danebenlegen. Laut Bundesbank steigerten diese ihr Vermögen allein von Januar bis September 2023 um beachtliche 204 Milliarden Euro.[3]
Auch wenn die Sparkassen gemäß ihrem eigenen Anspruch eher Kundinnen und Kunden in den mittleren und unteren Einkommensgruppen betreuen und diese von der hohen Inflation überdurchschnittlich betroffen sind, zeigen die beiden Zahlen, dass der durchschnittliche Bundesbürger zuletzt vermutlich deutlich mehr Geldvermögen gebildet hat als der durchschnittliche Sparkassen-Kunde.
Doch wann, wenn nicht in Zeiten steigender Zinsen und steigender Aktienkurse, sollte man als Sparkasse in der Lage sein, die eigene Kundschaft beim Vermögensaufbau zu unterstützen? Diese Frage wirft „Finanz-Szene“ meines Erachtens zu Recht auf. Und anscheinend fragen sich das auch einige Sparkassen-Kunden, denn die Einlagen sind zuletzt um 2 Prozent zurückgegangen[4], nicht wenige Kunden sehen ihr Vermögen demnach scheinbar woanders besser aufgehoben.
Die Sparkassen kommen ihrer Aufgabe, der Vermögensbildung der breiten Bevölkerungsschichten, nicht nach, wenn Sie mich fragen. Statt die gestiegenen Zinsen an ihre Kundschaft weiterzugeben, nutzen sie die Zinsmargen, um das unternehmerische Ergebnis zu verbessern. So gibt es beispielsweise bei der Berliner Sparkasse derzeit 1 Prozent aufs Tagesgeld[5], während andere Finanzdienstleister 2 bis 4 Prozent bieten.
Und die Sparkassen können sich auch deswegen über diesen stattlichen Gewinn freuen, weil sie ein altes ertragsstarkes Anlageprodukt für ihre Kunden wiederentdeckt haben. Der Abverkauf von Zertifikaten an Sparkassen-Kunden ist im vergangenen Jahr regelrecht explodiert.
Von insgesamt etwa 32 Milliarden Euro Wertpapiergeschäften, die die Sparkassen mit ihren Kunden gemacht haben, entfielen 6 Milliarden Euro auf Fonds und unglaubliche 26,1 Milliarden Euro auf Zertifikate. [6]
Man muss sich das einmal auf der Zunge zergehen lassen – 81 Prozent aller Wertpapiergeschäfte entfielen bei den Sparkassen auf Zertifikate. Das ist für eine „Bank des kleinen Mannes“, wie die Sparkassen sich selbst sehen, meines Erachtens verheerend. Denn Zertifikate sind grundsätzlich ungeeignet für Privatanleger, in den USA sind sie für selbige so gut wie verboten. Und zwar völlig zu Recht. Zertifikate mit so wohlklingenden Namen wie „WM-Multi Express-Zertifikat Memory mit Airbag“ oder „100 Jahre Freistaat Bayern Multi-Express-Memory mit Airbag“ hören sich toll an, aber kaum ein Kunde versteht, was sich dahinter verbirgt und wie er sein Geld da genau anlegt. Letztlich sind es Wetten der Banken gegen die Kunden, Zertifikate sind extrem kompliziert und mit hohen Verlustrisiken verbunden. Zudem gewinnt die Bank fast immer.
Ich möchte gerne noch etwas deutlicher werden: Für mich gehören Zertifikate eindeutig in die Gruppe der Anlageprodukte, die Sie im Sinne der Via Negativa (siehe letztes Tagebuch) getrost weglassen können und sollten. Ihr Geld wird es Ihnen danken!
Vor dem Abverkauf von Zertifikaten warnt auch Verbraucherschützer Niels Nauhauser von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Er sieht darin ein erhebliches Problem. „Aus unserer Beratung wissen wir, dass Verbrauchern, die nach einem Festgeld fragen, regelmäßig stattdessen Zertifikate und andere Produkte mit hohen Provisionen angeboten werden“, erklärt er. Nicht selten würden nicht bloß Festgeld-Anleihen verkauft, sondern auch komplexe Zertifikate mit Totalverlustrisiko. „Derartige Produkte sind für überhaupt keinen Kleinanleger bedarfsgerecht“, betont Nauhauser mit Nachdruck.[7]
Ich persönlich bin erschüttert, welche Renaissance Zertifikate dieser Tage erleben, dabei dachte ich, dass diese mit der Finanzmarktkrise für den Privatkunden vom Markt verschwinden würden, aber Fehlanzeige. Es ist unglaublich, welche Ausmaße der Abverkauf dieses für Kleinanleger ungeeigneten Produktes nun erneut angenommen hat. Zertifikate sind hochspekulativ und für Anlegerinnen und Anleger, die wie der durchschnittliche Sparkassenkunde meist zu den mittleren oder eher schwächeren Einkommens- und Vermögensschichten gehören, ungeeignet. Gerade Menschen, die nicht im Geld schwimmen, sollten für sie geeignete Produkte angeboten bekommen. Und Zertifikate sind keine Produkte, die unter diesem Aspekt in die Kategorie „geeignet“ fallen. Wenn Ihnen dieses meiner Meinung nach „faule Osterei“ auch angeboten wird oder wurde, ignorieren Sie es am besten – und raten Sie auch jedem davon ab, der es in Erwägung zieht. Zertifikate dienen meist dazu, den provisionsfinanzierten Banken „die Taschen voll zu machen“ – machen Sie dieses Spiel nicht mit, Ihrem Geld zuliebe.
Autor: Karl Matthäus Schmidt, Vorstandsvorsitzender der Quirin Privatbank und Gründer von quirion
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