Heute habe ich mal wieder etwas für Sie aus der Rubrik „Gut gemeint ist leider oft noch lange nicht gut gemacht!“ mitgebracht. Denn wenn ich mir die aktuelle europäische Politik in Sachen nachhaltige Geldanlage anschaue, drängt sich mir genau dieser Eindruck auf. Die Regulierungsfreude der EU droht gerade zum größten Widersacher der nachhaltigen Geldanlage zu werden. Unser Chefvolkswirt formulierte es neulich so: „Wenn das so weitergeht, dann legt in zwei Jahren gar niemand mehr nachhaltig an.“
Doch was ist passiert?
Regulatorik soll Greenwashing unterbinden
Nachhaltigkeit wird in allen Lebensbereichen immer wichtiger, sie ist auch bei der Geldanlage gefragter denn je und ein echter Megatrend. Immer mehr Geld soll in nachhaltige Geldanlagen fließen, wenn es nach den politischen Akteuren geht. Um dabei Greenwashing zu vermeiden, gibt es jede Menge Regulatorik – die entsprechenden Paragrafen und Gesetze sollen verhindern, dass Anlageprodukte als nachhaltig deklariert werden, die es gar nicht sind.
So weit, so gut.
Praktische Umsetzung ist schwierig
Doch die praktische Umsetzung dieses richtigen und wichtigen Zieles ist alles andere als einfach. Die gute Absicht, einen Etikettenschwindel zu unterbinden, wird von diffusen, mehrschichtigen Nachhaltigkeitskriterien, einer nach wie vor anhaltenden Komplexität und daher einer mangelnden Vergleichbarkeit überschattet – dies erschwert Anlegern den Weg zum passenden Nachhaltigkeitsprodukt eher, als dass es ihn vereinfacht.
Noch strengere Regeln für nachhaltiges Anlegen
Hinzu kommt, dass immer neue Stufen der Regulierung regelmäßig mit nur wenig Vorbereitungszeit für die Anbieter gezündet werden. So gelten seit Januar nun noch strengere Regeln für nachhaltige Fonds – dank der zweiten Stufe der EU-Offenlegungs-Verordnung. Ich will hier heute gar nicht zu sehr in die komplexen Details einsteigen. Fakt ist: Seit dem 1. Januar 2023 muss zum Beispiel für alle als nachhaltig deklarierten Anlageprodukte eine neue Nachhaltigkeitskennzahl nach EU-Vorgabe ausgewiesen werden. Das Problem: Für viele Produkte kann diese Kennzahl (noch) gar nicht erhoben werden, weil die notwendige Datenbasis der zugrundeliegenden Investitionen in weiten Teilen noch fehlt. Und diese Produkte gelten dann qua Regulierung – egal, wie nachhaltig sie das Geld de facto investieren – als nicht nachhaltig. Das ist – freundlich formuliert – absurd.
Somit erschwert diese Kennzahl die Vergleichbarkeit verschiedener Produkte, statt sie zu vereinfachen. Schon die bisherigen Nachhaltigkeitsparagrafen waren verquast und kaum voneinander abzugrenzen, diese neue, weitere Kennzahl macht alles noch komplizierter, ohne dass sie für Anleger einen Millimeter an Verbesserung bedeuten würde. Im Gegenteil: Selbst allgemein und unwidersprochen als nachhaltig angesehene Blockbuster-Fonds werden auf Basis dieser Kennzahl als kaum noch nachhaltig eingestuft. Eine verbraucherfreundliche, verständliche und Anlageentscheidungen vereinfachende Information sieht anders aus.
Übrigens erscheint am 9. Juni ein Podcast, in dem wir genauer über die neuen regulatorischen Anforderungen sprechen – hören Sie doch gerne rein, wenn Sie mögen.
Absicht gut, Umsetzung mangelhaft
Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Die Absicht hinter der Kennzahl ist gut, die ist also absolut nicht verfehlt. Und gerade weil diese Absicht so wichtig ist, sollten die verantwortlichen Akteure unbedingt die passenden Mittel wählen – weitere Kennzahlen und ein Mehr an Bürokratie sind dabei jedoch (mal wieder, möchte ich hinzufügen) nicht das Mittel der Wahl.
Illusion des Staates
Denn hinter der Regulierungsfreude steckt aus meiner Sicht einmal mehr die Illusion, dass der Staat den gesellschaftlichen Wandel bis ins kleinste Detail erfolgreich administrieren kann. Das wird aber nicht klappen, wie uns zahlreiche planwirtschaftliche Erfahrungen der Historie lehren. Sinnvoller, weil erfolgversprechender wäre es vielmehr, auf die Mechanismen des Marktes zu vertrauen. Damit auch hier keine Missverständnisse aufkommen: Die Politik kann und muss sogar den Rahmen vorgeben, welche Ziele bis wann zu erreichen sind, welche Grenzen unverrückbar gesetzt sind für die Marktakteure. Ich möchte nicht dem Greenwashing das Wort reden. Sondern ganz im Gegenteil: Gerade weil der nachhaltige Wandel unserer Gesellschaft – auch durch die Art und Weise, wie wir alle investieren – so wichtig ist, müsste die Politik viel mehr darauf vertrauen, dass innerhalb klar und sinnvoll gesetzter Rahmenbedingungen der Markt diesen unaussprechlich komplexen Anpassungsprozess erfolgreich regelt, statt dass erfolglos versucht wird, bis zur letzten Nachkommastelle alles bürokratisch zu definieren.
Bürokratischer Overkill: mehr Dokumentation
Übrigens: Neben neuen Kennzahlen bedeutet die erhöhte Regulatorik natürlich auch ein Mehr an Beratungsdokumentation. Das Problem, das eigentlich gelöst werden soll – eine höhere Transparenz zu schaffen und Greenwashing zu vermeiden –, lässt sich damit aber nicht lösen, auch wenn sich das aufs erste Hinhören plausibel ausnimmt. Hier sehe ich deutliche Parallelen zur Umsetzung der Finanzmarktrichtlinie MiFID II – auch sie sollte mehr Transparenz und damit bessere Beratungsqualität für Anlegende bringen, hat dieses Ziel aber weitestgehend verfehlt. 66 % der Befragten einer repräsentativen Studie[1] haben angegeben, dass sie die mit MiFID II verbundenen Beratungsdokumentationen nicht lesen. Warum? Weil die Unterlagen sehr umfassend oder unverständlich sind oder ein Laie die Angaben schwer einordnen kann.
Regulatorik löst das eigentliche Problem nicht
Auch für die nachhaltige Geldanlage könnte ein Mehr an Dokumentation ganz andere Folgen haben, als man sich das von politischer Seite erhofft. So könnte es passieren, dass Menschen weiterhin nachhaltig anlegen, sie die stärkere Regulierung aber kaum zur Kenntnis nehmen und die noch umfassendere Dokumentation im schlechtesten Falle ungelesen in den Papierkorb wandert. Dann bringt all die Regulatorik nichts, denn Greenwashing wird auch weiterhin nicht erkannt – der Anlegende schaut ja gar nicht genau hin wegen des Papierwusts. Oder die umfangreiche Dokumentation schreckt Anleger sogar gänzlich ab und sie verzichten auf nachhaltiges Anlegen („Bevor ich mir das alles durchlesen und so viele Fragen beantworten muss, kreuze ich doch lieber ‚nein‘ an“). Und für die Menschen, die auch weiterhin nachhaltig anlegen, ändert sich im Grunde gar nichts: Die Dokumentation allein löst nicht das Transparenzproblem – sie sind nach wie vor auf eine fundierte und unabhängige Beratung angewiesen.
Bärendienst für nachhaltiges Anlegen
Zusammenfassend scheint es mir, als hätten die handelnden Akteure bei ihren richtigen Bemühungen – die nachhaltige Geldanlage zu fördern, Greenwashing zu vermeiden – das sprichwörtliche Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Der bürokratische Overkill will Gutes und erreicht möglicherweise genau das Gegenteil – fast schon faustisch. Die neuen EU-Vorgaben zur nachhaltigen Geldanlage und die umfassendere Dokumentation sind gut gemeint, aber schlecht gemacht und erweisen nachhaltigen Geldanlagen Stand heute mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Bärendienst. Bleibt zu hoffen, dass der Gesetzgeber das schnell erkennt und entsprechend reagiert.
Autor: Karl Matthäus Schmidt, Vorstandsvorsitzender der Quirin Privatbank und Gründer von quirion
Wenn Sie sich für (nachhaltiges) Anlegen interessieren oder Fragen dazu haben, wenn Sie unsicher sind, was die für Sie beste Anlagestrategie ist, dann rufen Sie uns gerne an oder kommen Sie an einem unserer 15 Standorte vorbei – wir freuen uns auf Sie!
[1] puls-Studie "Das Bezahl-Beratungs-Paradoxon deutscher Bankkunden“, März 2023 im Auftrag der Quirin Privatbank
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