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„Lindner-Rente“: Kulturrevolution oder Riester reloaded?

Karl Matthäus Schmidt
,
CEO und Gründer der Quirin Privatbank AG
7
Minuten

2026 soll es endlich so weit sein: Ein staatlich gefördertes Altersvorsorgedepot geht (voraussichtlich) an den Start. Der Gesetzesentwurf liegt vor. Jetzt müssen wir abwarten, wie stark die verschiedenen Vertretungen von Versicherungen, Banken und Fondsanbietern sowie andere Verbände das finale Gesetz noch in ihrem Sinne beeinflussen können. Ich habe mir den Entwurf mal angesehen und ihn mit unserem Vorschlag für eine reformierte geförderte Altersvorsorge verglichen: Was klingt gut und wo geht es vielleicht eher um die Interessen der Anbieter und weniger um die der Kundinnen und Kunden?

Das Wichtigste in Kürze:

  • Neues Altersvorsorgedepot soll 2026 starten – leider mit deutlich erkennbarem Einfluss vieler Interessenverbände
  • Relativ niedrige Einzahlungsgrenze von zunächst 3.000 Euro jährlich
  • Nachgelagerte Besteuerung anstatt Steuerfreiheit der Erträge
  • Auch ungeeignete Anlageformen werden gefördert
  • Fehlender Kostendeckel öffnet Tür und Tor für teure Produkte

Die Riester-Rente wurde 2002 eingeführt, um mit ihr die zuvor beschlossene Kürzung des Rentenniveaus auszugleichen. Deshalb auch die Förderung. Mehr als 20 Jahre später können wir feststellen: Riester ist gescheitert. Dafür gibt es sehr viele Gründe, doch das ist heute nicht mein Thema. Mich hat aber schon immer geärgert, dass sie wegen der vorgeschriebenen Kapitalgarantie und der lebenslangen Rentenzahlung vor allem in teuren Versicherungskonstruktionen angeboten wurde. Anstatt die Chancen der Kapitalmärkte zu nutzen und die Zeit für sich bzw. die Kundinnen und Kunden arbeiten zu lassen, ließen die Regeln (und die Kosten) es kaum zu, ordentliche Erträge zu erwirtschaften. Dabei gibt es in anderen Ländern gute Vorbilder für eine kapitalmarktorientierte private Altersvorsorge. Und auch wir haben vor einiger Zeit einen eigenen Vorschlag formuliert und gezeigt, wie ein kluges Modell aussehen könnte.

Vorbild dabei waren die „Individual Savings Accounts“, die es in England seit mehr als 25 Jahren gibt. Zum Einstieg hier noch mal kurz die wichtigsten Eckpunkte unseres Bürger-Aktien-Spardepots – ich hatte es in einem Tagebuch vom August 2023 schon mal angeschnitten:

„Überraschenderweise“ wird es das Bürger-Aktien-Spardepot in dieser Form nicht geben. Die Bundesregierung hat sich mit Experten und Interessenverbänden – auch dazu hatte ich im oben erwähnten Tagebuch etwas geschrieben - beraten und herausgekommen ist: das neue Altersvorsorgedepot. Eine „Lindner-Rente“. Die FDP bezeichnet es auf ihrer Webseite ganz unbescheiden als „Gamechanger“.

Ich habe mir mal angeschaut, wo die Bundesregierung ähnliche Vorstellungen hat wie wir. Und wo sich die Ideen unterscheiden – das ist nämlich sehr aufschlussreich. Um es etwas übersichtlicher zu gestalten, konzentriere ich mich dabei auf die Kategorien Steuern, Maximalbeträge/Förderung, Anlageprodukte sowie Kosten.

Steuern

Kaum etwas scheinen die Menschen in Deutschland mehr zu lieben, als Steuern zu vermeiden. Deshalb werden mit diesem Thema leider immer wieder teure und schlechte Anlageprodukte verkauft. Ich erinnere hier nur kurz an Schiffsbeteiligungen oder Medienfonds. Anlegerinnen und Anleger sollten sich aber nie nur auf diesen einen Aspekt fokussieren. Trotzdem ist die steuerliche Behandlung selbstverständlich relevant.

Vorab: Ich bin kein Steuerexperte. Aber trotzdem haben wir uns auch dazu Gedanken gemacht. Während wir für eine Steuerfreiheit der Erträge plädiert hatten, soll es jetzt eine nachgelagerte Besteuerung geben. Einzahlungen können also von der Steuer „abgesetzt“ werden – aber nur, wenn der Steuervorteil größer ist als der gewährte Zuschuss (Günstigerprüfung). Dafür müssen die Erträge dann im Alter versteuert werden. Da wir alle nicht mit Gewissheit sagen können, wie unsere steuerliche Situation im Ruhestand aussehen wird, ist das zumindest ein (kleiner) Unsicherheitsfaktor. Und schon heute werden verschiedene Anlageinstrumente steuerlich unterschiedlich behandelt. Fonds und ETFs anders als Einzelaktien und ausschüttende Fonds anders als thesaurierende. Befürchtung: Hier ist viel Platz für eine Menge Bürokratie. Einfacher wäre es aus meiner Sicht gewesen, sowieso schon „versteuertes Geld“ einzuzahlen und dafür die Erträge steuerfrei zu halten. In England funktioniert das auf jeden Fall sehr erfolgreich.

Maximalbeträge und Förderung

Maximal 3.600 Euro sollen zunächst jährlich in das Altersvorsorgedepot kinderloser Menschen fließen können. Ab 2030 dann bis zu 4.200 Euro. In 35 Jahren wären das fast 145.000 Euro, wovon rund 120.000 Euro aus dem eigenen Portemonnaie kämen. Das ist nicht schlecht. In Summe können so – mit einem breit gestreuten Portfolio aus Aktien-ETFs – auch mal mehr als 600.000 Euro zusammenkommen. Inflation und nachgelagerte Versteuerung lassen diesen Betrag dann aber leider wieder schrumpfen. Deshalb hätte ich mir höhere Grenzen gewünscht.

Produkte

Bei den Produkten ist leider das passiert, was ich befürchtet hatte. Versicherungen mit Kapitalgarantie sollen ebenso gefördert werden wie aktiv gemanagte Fonds und sogar Einzelaktien (!). Alles Produkte, die man für den Vermögensaufbau nicht braucht. Immerhin finden sich keine Kryptowährungen auf der Vorschlagsliste. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Wer sein Glück mit Einzelaktien oder Bitcoin & Co. versuchen möchte, soll das probieren. Nur: Mit kluger Altersvorsorge haben solche Anlagen eben gar nichts zu tun. Und darum geht es ja schließlich. Das Altersvorsorgedepot soll (auch) dafür sorgen, dass Menschen sich ihren Ruhestand leisten können und nicht auf (zusätzliche) staatliche Unterstützung angewiesen sind. Wie das mit einer Einzelaktie sicher gelingen soll, ist mir schleierhaft. Es kann gut gehen – oder auch nicht. Da ist die Finanzmarktforschung eindeutig. Hier liegt für mich einer der grundsätzlichen Konstruktionsfehler der Lindner-Rente.

Übrigens müssen alle Produkte einen Zertifizierungsprozess durchlaufen. Da bin ich schon sehr gespannt, wie der aussehen wird. Wird ein Broker das Produkt „Aktiensparplan“ zertifizieren lassen müssen oder ganz konkret den „Aktiensparplan auf Wirecard“? Analysieren die Expertinnen und Experten der Zertifizierungsstelle beim Bundeszentralamt für Steuern die Strategie von Asset-Managern oder nur, ob das Produkt formale Voraussetzungen erfüllt? Hier sind aus meiner Sicht noch sehr viele Fragen offen. Mutmaßlich werden am Ende aber viele fragwürdige Produkte eine Zertifizierung erhalten.

Ich hätte mir den Fokus auf maximal breite und damit internationale Streuung der Anlagen gewünscht. So entsteht das beste zu erwartende Chance-Risiko-Verhältnis. Allerdings – und das ist die erfreuliche Nachricht – wird es solche Angebote geben. Denn auch ETF-Sparpläne und -Depots werden gefördert. Das ist für mich als „ETF-Ultra“ ein echtes Highlight.

Kosten

Diesen Absatz kann ich kurz halten. Während wir einen Kostendeckel bei solchen Altersvorsorgeprodukten für elementar halten, findet sich im Gesetzentwurf dazu: nichts. Nicht ein Wort.

Wobei das nicht ganz korrekt ist. Kosten werden im Entwurf und in den dazugehörigen Begründungen auf 113 Seiten exakt 131-mal erwähnt – allerdings nicht ein Mal im Sinne einer Obergrenze der jährlichen Kosten.

Stattdessen finden sich an ganz vielen Stellen Hinweise, wie, wo und wann die Kosten dargestellt werden müssen. Das ist bereits heute vorgeschrieben und hat leider nicht dazu geführt, Produkte preiswerter zu machen. Ein echter Wettbewerb findet nämlich immer noch viel zu selten statt. Daran wird wohl auch die geplante Vergleichsplattform – die es übrigens erst ein Jahr nach (!) dem Start der Lindner-Rente geben soll – nur wenig ändern. Nur die wenigsten prüfen mehrere Angebote und die darin enthaltenen Kosten. Die im Verkaufen gut geschulten Beraterinnen und Berater schlagen etwas vor und dann wird eben schnell unterschrieben.

Welche Inhalte sind zusätzlich im Entwurf zu finden?

Unter anderem taucht auch die Kapitalgarantie – ein Baustein des Riester-Fiaskos – wieder auf. Bei der Lindner-Rente haben Kundinnen und Kunden die Wahl zwischen Produkten ohne Garantie des eingesetzten Kapitals und Angeboten mit 80- bzw. 100-prozentiger Kapitalgarantie. Das klingt auf den ersten Blick gut und kommt bestimmt auch vielen sicherheitsorientierten Menschen zunächst entgegen. Nur: Attraktive Renditen sind mit einer Kapitalgarantie schlecht zu erzielen. Eine Garantie kostet immer Geld. Bei sehr langem Anlagehorizont ist sie überflüssig. Das zeigen Berechnungen immer wieder.1

Mein Fazit

Einen echten „Gamechanger“ kann ich im aktuellen Vorschlag leider nicht erkennen. Aber er ist trotzdem ein Schritt in die richtige Richtung. Ab 2026 wird es möglich sein, gefördert privat für das Alter vorzusorgen. Und das sogar weltweit gestreut mit ETFs. Das ist toll. Vielleicht bekommen wir damit tatsächlich auch eine bessere Kapitalmarktkultur.

Meine Befürchtung ist nur, dass diese Form der Anlage bei zu wenigen Menschen ankommt – und stattdessen wieder im großen Stil teure und schlechte Produkte verkauft werden. Dann wäre die Lindner-Rente nicht viel mehr als eine Riester-Rente 2.0.

Wie geht es jetzt weiter?

Bis zum 17. Oktober konnten Anbieter und Verbände ihre Anmerkungen zum Entwurf abgeben. Diese kenne ich nicht, aber sie sind nicht schwer zu erahnen. Den Versicherungen sind die reinen Kapitalmarktprodukte ein Dorn im Auge. Die Fondsgesellschaften loben die Flexibilität ihrer Produkte, womit sie natürlich in erster Linie ihre aktiv gemanagten Fonds meinen. Den klassischen Banken, Sparkassen und Allfinanzvertrieben sind wohl beide Richtungen recht – solange die Provisionen stimmen. Denn bei einem Thema sind sich vermutlich alle einig: Zum Glück wird es keine Obergrenze der Kosten geben. Wobei das mit Glück wohl wenig zu tun hat, sondern viel mehr mit den großen Budgets der Interessenverbände.

Noch in diesem Jahr soll das Gesetz verabschiedet werden. Ich bin gespannt, wie es final aussehen wird. Wir bleiben auf jeden Fall am Ball und vielleicht kann ich Ihnen schon bald sagen, wie ein gefördertes ETF-Portfolio von Quirin Privatbank und quirion aussehen könnte.

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Über den Autor
Karl Matthäus Schmidt

Karl Matthäus Schmidt ist Gründer und CEO der Quirin Privatbank. Er ist Banker in sechster Generation und revolutionierte bislang dreimal den deutschen Bankenmarkt. Mit 25 Jahren gründete er den ersten Onlinebroker Deutschlands, Cortal Consors, den er nach dem Börsengang an eine französische Großbank verkaufte. 2006 brachte er Deutschlands erste unabhängig beratende Bank, die heutige Quirin Privatbank, auf den Markt. Sie verzichtet auf die Annahme von Provisionen und kann Anlegerinnen und Anleger deshalb unabhängig beraten. 2013 gründete Schmidt den ersten Robo-Advisor Deutschlands, quirion, um allen Menschen einen Zugang zu einer guten und günstigen Geldanlage zu ermöglichen. Seine Vision ist es, mehr Menschen in Deutschland zu besseren Anlegern zu machen. Als Vorstand verantwortet er unter anderem die Bereiche Privatkundengeschäft und Anlagemanagement, außerdem ist er Aufsichtsratsvorsitzender der quirion AG. Der gebürtige Franke ist verheiratet, Vater von fünf Kindern und lebt in seiner Wahlheimat Berlin und Brandenburg.

Hören Sie passend zum Thema unseren Podcast „klug anlegen“

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