Manche Analystinnen und Analysten interpretieren den enormen Aufschwung deutscher Aktien seit Jahresanfang – bei gleichzeitigen Verlusten am US-Aktienmarkt – bereits als Vorwegnahme eines gewaltigen kreditfinanzierten Konjunkturprogramms hierzulande.
Anleiherenditen schnellen nach oben
Doch nicht nur die heimischen Aktienmärkte haben spürbar auf das Vorhaben reagiert. Auch auf den Märkten für Festverzinsliche haben die jüngsten Ereignisse deutliche Spuren hinterlassen. Vor der Ankündigung des riesigen Fiskalpaketes hatten die Renditen langlaufender deutscher Staatsanleihen noch unter 2,50 % gelegen. Anfang März, also unmittelbar nachdem die Planungen für die Aufweichung der Schuldenbremse sowie das 500 Mrd. € schwere Infrastruktur-Sondervermögen bekannt wurden, sind die Renditen so stark angestiegen wie seit der deutschen Wiedervereinigung (1990) nicht mehr. Mittlerweile liegen sie für Restlauflaufzeiten von zwölf Jahren an aufwärts bei knapp über 3 % – für mittelfristige Restlaufzeiten bei rund 2½ %.
Die Rendite der richtungweisenden 10-jährigen Bundesanleihe lag Ende Februar d. J. bei 2,39 %. Anschließend stieg sie in der Spitze auf 2,94 % (12. März) und liegt aktuell bei 2,80 % (Stand 19.03., 13:00 h). Derart starke Renditeanstiege innerhalb so kurzer Zeit sind für Anleihemarktverhältnisse äußerst ungewöhnlich.
Insgesamt hat sich die deutsche Zinsstrukturkurve durch die jüngsten Entwicklungen weiter normalisiert, d. h., die Renditen langlaufender Anleihen sind gestiegen und die von Kurzläufern sind gesunken – Letzteres wurde durch die zuletzt wiederholten Leitzinssenkungen der Europäischen Zentralbank (EZB) ausgelöst (siehe nachfolgende Grafik).
Während man noch darüber streiten mag, ob der alleinige Grund für die zuletzt erstaunliche Performance des deutschen Aktienmarkts ein von den Märkten vorweggenommener konjunktureller Aufschwung ist (mit in der Folge kräftig steigenden Unternehmensgewinnen), ist die Einschätzung für die Anleihemärkte ziemlich eindeutig: Kaum jemand bezweifelt ernsthaft, dass die jüngsten Verschiebungen innerhalb der Zinsstrukturkurve, insbesondere der Anstieg der Langfristrenditen, ein Reflex auf die deutschen Verschuldungspläne sind.
Immerhin wurde die Schuldenbremse mit Blick auf die Verteidigungsausgaben praktisch ausgesetzt (genauer: für alle Verteidigungsausgaben, die 1 % des BIP übersteigen – nach oben hin gibt es keine Grenze mehr) und zusätzlich ein 500 Mrd. € umfassendes zusätzliches „Sondervermögen“ für Infrastrukturausgaben geschaffen. Außerdem sollen die Bundesländer mehr Spielraum für die eigene Verschuldung bekommen, wovon sie vermutlich regen Gebrauch machen werden.
Das gesamte Vorhaben entspricht einem riesigen kreditfinanzierten Konjunkturprogramm. Entsprechend der keynesianischen Wirtschaftslehre treibt ein solches Programm die Anleiherenditen vor allem bei den längeren Restlaufzeiten in die Höhe, denn genau dort dürfte sich im Wesentlichen die zukünftige staatliche Kreditaufnahme abspielen.1 Manche Beobachter sprechen in diesem Zusammenhang bereits von einer Epoche des „Militär-Keynesianismus“.2
Kann sich Deutschland ein derart riesiges Finanzpaket überhaupt leisten?
Im internationalen Vergleich steht Deutschland, was die Staatsverschuldung anbelangt, hervorragend da. Als eines der wenigen Länder Europas hält es derzeit auch die sogenannten „Maastricht-Kriterien“ (fast) ein. Demnach darf die jährliche staatliche Neuverschuldung drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) nicht übersteigen und der aufgelaufene Gesamtschuldenstand nicht 60 % des BIP (siehe nachfolgende Grafik).
Hinzu kommt noch ein weiterer Aspekt: Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern, wie beispielsweise den USA, hat Deutschland als notorisches Leistungsbilanzüberschuss-Land von seinen Handelspartnern per saldo keine Kredite aufgenommen, sondern vielmehr welche vergeben. Das heißt: Deutschland hat über Jahrzehnte hinweg einen riesigen Forderungsbestand von derzeit ca. 2,7 Bio. € aufgebaut (siehe nachfolgende Grafik).
Ähnlich wie Japan ist Deutschland damit global gesehen kein Schuldner, sondern Gläubiger. Deshalb besteht nach unserer Einschätzung auch keine allzu große Gefahr, dass die geplanten neuen Staatsschulden – selbst wenn sie wie vermutet zinstreibend sind – der Bonität Deutschlands abträglich sein werden.
Unabhängig von der Frage, wie man politisch zu der kräftig wachsenden Staatsverschuldung und der damit einhergehenden Belastung zukünftiger Generationen steht, ist vor dem Hintergrund der skizzierten Zusammenhänge davon auszugehen, dass sich Deutschland ein derart voluminöses Verschuldungsprogramm durchaus leisten und gegebenenfalls auch höhere Zinsen relativ problemlos verkraften kann. Zu einem lauten Aufschrei dürfte es allerdings dann kommen, wenn das Ganze mit einer wieder spürbar steigenden Inflationsrate verbunden ist.
Auch internationale Entwicklungen stützen ein Zinssteigerungsszenario
Nun ist Deutschland zwar eine der weltweit größten Volkswirtschaften (genau genommen die drittgrößte nach den USA und China), aber dessen ungeachtet werden seine heimischen Kapitalmärkte aufgrund der Globalisierung des weltweiten Finanzsektors nicht nur von den Ereignissen hierzulande beeinflusst, sondern auch von internationalen Entwicklungen. Oder anders formuliert: Unsere Vermutung steigender oder zumindest anhaltend höherer Renditen stünde auf recht tönernen Füßen, wenn nicht auch Signale von den internationalen Kapitalmärkten eher auf höhere als niedrigere Renditen hindeuten würden.
Auf gesamteuropäischer Ebene beispielsweise ist ähnlich wie in Deutschland ein gewaltiges kreditfinanziertes Rüstungsprogramm über 800 Mrd. € in der Diskussion und es bestehen gute Chancen, dass es auch tatsächlich umgesetzt wird. Denn von wenigen Ausnahmen einmal abgesehen, wie beispielsweise Ungarn, stellen sich mittlerweile alle europäischen Länder darauf ein, dass sowohl in Gesamt-Europa als auch in den einzelnen Ländern selbst deutlich mehr Geld für die Verteidigung in die Hand genommen werden muss. Alles weitestgehend über neue Kredite – vermutlich größtenteils mittels Anleihen – finanziert.
Sondersituation USA
Auch in den USA – dem wichtigsten globalen Kapitalmarktakteur – stehen die Zeichen eher auf steigende denn auf fallende Zinsen. Zwar steht das Land vor allem aufgrund des von seinem Präsidenten angerichteten Zoll-Chaos kurz vor einer Rezession – was ja eigentlich für fallende Zinsen sprechen würde. Aktuell jedoch kursieren Gerüchte, nach denen Donald Trump plant, die größten Gläubiger der USA – allen voran Japan, China, Deutschland und die Golfstaaten – massiv unter Druck zu setzen, um Teile der enorm hohen amerikanischen Netto-Auslandschulden in Höhe von mittlerweile rund 25 Bio. US-Dollar umschulden zu können (siehe nachfolgende Grafik).
Wie immer eine solche Umschuldung im Detail auch aussehen mag – manche sprechen sogar von einer Enteignung der Gläubigerstaaten –, man will damit eine Abwertung des US-Dollars erreichen, die dann – so die Hoffnung – US-Importe weiter einschränken und US-Exporte beflügeln soll.
Was an den ominösen Umschuldungsplänen dran ist, ob Trump sie ernsthaft verfolgt, weiß heute niemand mit Sicherheit zu sagen. Zuzutrauen wäre ein solches Manöver dem US-Präsidenten aber durchaus. Allerdings wird dabei von den US-Strategen vermutlich übersehen, dass die Altschulden der USA gegenüber dem Ausland zwar ein Problem sind, aber bei weitem nicht das einzige: Die USA erhalten aufgrund ihres unverändert hohen Leistungsbilanzdefizits aktuell von ihren Handelspartnern jedes Jahr neue Kredite in Höhe von umgerechnet rund 800 Mrd. €.
Setzt man nun die Gläubigerstaaten und Halter von US-Staatsanleihen zu sehr unter Druck, werden sie den Vereinigten Staaten zukünftig – wenn überhaupt – nur noch zu spürbar höheren Zinssätzen Kredite zur Verfügung stellen. Alles in allem muss man daher – trotz einer möglichen US-Rezession – auch für die USA eher von steigenden bzw. auf höherem Niveau verharrenden Zinsen ausgehen.
Ein Szenario tendenziell steigender Anleiherenditen wird im Wesentlichen auch durch die Geschehnisse in Asien gestützt. So hat die jüngste ökonomische Entwicklung selbst in Japan – das über Jahrzehnte hinweg das Paradebeispiel eines Niedrigzinslandes war – dazu geführt, dass japanische Staatsanleihen (vor allem im längeren Laufzeitenspektrum) aktuell lange nicht gekannte Renditeniveaus aufweisen (siehe nachfolgende Grafik).
Einzige Ausnahme in diesem Reigen ist China, wo die Anleiherenditen aufgrund hausgemachter Probleme (Demografie, Immobilienkrise), einer nach wie vor nicht gebannten Deflationsgefahr und hartnäckiger Wachstumsprobleme niedriger sind als noch vor einem Jahr (siehe nachfolgende Grafik).
Fazit
- Nach Jahren von Niedrigst- und Nullzinsen beginnt sich die Weltwirtschaft wieder auf eher steigende oder zumindest anhaltend höhere Renditen einzustellen.
- Der bereits in Grundkurs-Lehrbüchern thematisierte volkswirtschaftliche Zusammenhang zwischen steigender staatlicher Kreditaufnahme und steigenden Zinsen bzw. Renditen ist zurück.
- Für Anlegerinnen und Anleger sind das keine schlechten Nachrichten.
- Denn sie bedeuten, dass Staatsanleihen – deren wichtigste Aufgabe in einem gemischten Wertpapierdepot darin besteht, das Gesamtrisiko zu begrenzen – nun auch unter Renditegesichtspunkten wieder eine attraktive Anlageform darstellen.