Nur einen Tag später sorgten dann die Zollstreitigkeiten der USA mit ihren wichtigen Handelspartnern China, Mexiko und Kanada für ausgeprägte Gewinnmitnahmen, die den DAX bis auf knapp 22.300 Punkte im Tief drückten. Wiederum nur einen Tag später erfolgte die kräftige Erholung auf über 23.000 Punkte.
Die meisten Analystinnen und Analysten hatten nicht mit einem derartigen DAX-Rekordlauf gerechnet, sondern vielmehr zur Vorsicht geraten. Immerhin wurde durch den denkwürdigen Auftritt Trumps für die ganze Welt ersichtlich: Man kann sich auf die USA nicht mehr zu 100 % verlassen. Diese Erkenntnis trifft das gesamte Europa, aber insbesondere Deutschland bis ins Mark.
Wie passt zu einer solch besorgniserregenden Erkenntnis ein fulminant steigender deutscher Aktienmarkt? Hinzu kommen Umstände, die ja speziell in Deutschland alles andere als rosig sind: ungelöste Migrationsprobleme, eine Wirtschaft im vermutlich dritten Rezessionsjahr in Folge, die höchsten Unternehmenssteuern und Energiepreise in Europa, trotz steigender Arbeitslosenquote ein sich verstärkender Fachkräftemangel, eine marode Infrastruktur und eine nach wie vor ungebremste Regulierungswut auf allen Ebenen. Die Liste der ungelösten Probleme und Herausforderungen ließe sich durchaus noch um einiges verlängern.
Aktienmarktentwicklung auch mittelfristig spektakulär
Wenn es sich nun bei den eingangs dargestellten Aktienmarktentwicklungen lediglich um kurzfristige Ausreißer im Rahmen einer ansonsten moderaten mittelfristigen Entwicklung handeln würde, bräuchte man das Ganze nicht weiter zu thematisieren. Aber mittel- und langfristig zeigt sich erstaunlicherweise ein ähnlich positives Bild: Seit Jahresanfang 2025, also in nur knapp zweieinhalb Monaten, hat der DAX um satte 16 % zugelegt (Stand: 5. März) und in den knapp zweieineinhalb Jahren seit Herbst 2022 sogar um knapp 90 % (!). Ende September, Anfang Oktober 2022 notierte der DAX zeitweise unter 12.000 Indexpunkten. Zur Wahrheit gehört allerdings auch: In der Börsenhistorie gab es auch oft längere Phasen, in denen sich der DAX im Vergleich der großen internationalen Börsenindizes nur unterdurchschnittlich entwickelt hat.
Skeptische Stimmen häufen sich …
Angesichts dieser zuletzt rasanten DAX-Entwicklung ist es nicht verwunderlich, dass sich die Stimmen häufen, die vor einem baldigen scharfen Einbruch warnen. Besonders aufgefallen ist uns in diesem Zusammenhang ein Beitrag der als seriös und besonnen geltenden Börsen-Zeitung vom 19. Februar dieses Jahres. Nicht weil die ins Feld geführte Argumentation besonders originell gewesen wäre, sondern wegen der Deutlichkeit der Aussage: „DAX vor der Korrektur“, so lautet bereits unmissverständlich die Überschrift des Beitrags; nicht die üblichen Relativierungen, kein Fragezeichen hinter der Überschrift und keine windelweichen Formulierungen, sondern klare Ansagen, bereits im Untertitel: „Die nächste Blase vor dem Platzen“ und „Eine Korrektur ist unausweichlich“. So oder ähnlich klar positioniert sich der gesamte Beitrag, der – wenn man ihn wirklich ernst nähme – eindeutig zu einem Verkauf aller Aktien führen müsste.
… und haben problematische Konsequenzen
Können wir das heraufbeschworene Szenario einer von den USA und ihrem unberechenbaren Präsidenten ausgelösten heftigen Marktkorrektur ausschließen? Definitiv nein! Warum haben wir aber trotzdem ein Problem mit dem Börsen-Zeitungs-Artikel? Aus einem einfachen Grund: weil durch solche und ähnliche Beiträge Anlegerinnen und Anleger zu den zwei klassischen Fehlern der Aktienanlage verführt werden. Erstens zum Versuch, günstige Ein- und Ausstiegszeitpunkte abpassen zu wollen (sog. „Market Timing“), und zweitens dazu, die globale Diversifikation letztlich zu vernachlässigen.
Wie verheerend sich diese Fehler auf die langfristige Wertentwicklung eines Aktiendepots auswirken können, haben wir bei den unterschiedlichsten Gelegenheiten immer wieder betont, z. B. im Logbuch „Die Stunde der Apokalyptiker“ vom 2. September 2022. Dort und an vielen anderen Stellen haben wir insbesondere auf die besonderen Gefahren des Market Timings hingewiesen.
Daher möchten wir im vorliegenden Logbuch etwas genauer auf den zweiten der genannten Fehler eingehen, die Vernachlässigung einer wirklich angemessenen Diversifizierung. Während wir in unserem Beitrag vom September 2022 vor der Flucht in vermeintlich krisensichere Anlagen und einer dadurch verursachten mangelhaften Diversifizierung gewarnt hatten, liegt diese Gefahr aktuell in der immer öfter zu hörenden Empfehlung „Raus aus den USA, rein in Europa, insbesondere Deutschland“.
Das dahinterstehende Szenario hat durchaus eine gewisse Überzeugungskraft: Während Donald Trump dabei ist, der US-Wirtschaft durch seine spontanen, unberechenbaren und nicht zu Ende gedachten Interventionen ernsthaften Schaden zuzufügen, setzt sich in Europa langsam, aber sicher die Einsicht durch, dass es endlich zu Geschlossenheit finden und als Block gemeinsam mit Nachdruck auftreten muss; insbesondere was die eigene Verteidigungsfähigkeit anbelangt. Das erratische Verhalten Donald Trumps wirkt auf diese Weise quasi wie ein Katalysator für die Einheit und letztlich die Stärke Europas. Im Ergebnis werden wir daher in Europa vermutlich einen enormen, von massiven staatlichen und kreditfinanzierten Rüstungs- und Infrastrukturausgaben angeschobenen Wirtschaftsaufschwung erleben, während die US-Wirtschaft durch Donald Trump immer mehr ins Straucheln gerät. Vor dem Hintergrund eines derartigen Szenarios ist die immer lauter zu hörende Empfehlung einer Gewichtsverlagerung der globalen Aktienanteile durchaus nachvollziehbar.
Und wieder stellt sich die Frage: Lässt sich mit Sicherheit sagen, dass sich das aufgezeigte Szenario bewahrheiten wird? Unsere Antwort lautet auch diesmal: Definitiv nein! Denn: So selbstverständlich, wie es von seinen Verfechtern dargestellt wird, ist das skizzierte Szenario durchaus nicht. Es gibt nämlich auch eine andere Lesart: Danach hat die fulminante Entwicklung speziell des deutschen Aktienmarktes den vermuteten Aufschwung (und einen möglichen Ukraine-Frieden) bereits heute vorweggenommen, und die Aktienkurse könnten sich daher zukünftig eher in moderateren Bahnen bewegen – selbst wenn es konjunkturell so kommen sollte wie vermutet. Sollte der Aufschwung ausbleiben und die Staatsschulden explodieren, dürfte schnell Ernüchterung am heimischen Aktienmarkt einkehren.
China als warnendes Beispiel
Die tatsächlichen, realen Entwicklungen zeigen immer wieder, dass scheinbar selbstverständliche, gewissermaßen auf der Hand liegende Szenarien alles andere als sicher sind. Wir können uns noch sehr gut an lebhafte Diskussionen von vor ungefähr fünf Jahren erinnern, in denen als Ergebnis nachdrücklich eine gänzlich andere Übergewichtung empfohlen wurde, nämlich die Chinas. Bis kurz vor Ausbruch der Corona-Krise Ende 2019 konnte China mit wirtschaftlichen Wachstumsraten aufwarten, die alle anderen Industrienationen weit in den Schatten stellten. Das Land verfügt über einen riesigen Heimatmarkt mit rund 1,4 Mrd. Konsumentinnen und Konsumenten. Zudem konnte das Land die Corona-Krise am schnellsten von allen betroffenen großen Nationen wieder hinter sich lassen. Sein Bruttoinlandsprodukt (BIP) wuchs bereits im ersten Quartal 2021 wieder mit über 12 % (aufs Jahr hochgerechnet). Für die meisten Analystinnen und Analysten war es daher eine mehr oder weniger ausgemachte Sache, dass China an seine Vor-Corona-Erfolge anknüpfen würde. Corona stellte demnach nur eine kurze Unterbrechung in der chinesischen Erfolgsgeschichte dar.
Angesichts der vermeintlich glänzenden Aussichten erschien damals vielen eine Gewichtung (nach Marktkapitalisierung) in Höhe von knapp 5 % als völlig unangemessen und sie plädierten vehement für einen deutlich höheren Anteil.
Auch der populäre Vorschlag, die internationalen Aktiengewichtungen nicht an der jeweiligen Marktkapitalisierung auszurichten, sondern am Gewicht des jeweiligen Bruttoinlandsprodukts (BIP), zielte in diese Richtung. Ähnlich wie bei den heute diskutierten Szenarien schien die Entwicklung fast zwangsläufig vorgezeichnet zu sein. Es war schwer, der allgemeinen China-Euphorie zu widerstehen und die damals wie heute relativ bescheidene China-Gewichtung im Rahmen eines global ausgerichteten Aktienportfolios beizubehalten.
Heute wissen wir, wie die China-Story ausging. Chinas Wirtschaft bekam große Probleme und die Wachstumsraten schrumpften auf mittlerweile 5 % – deutlich zu wenig für die großen Ambitionen Chinas. Insbesondere der chinesische Aktienmarkt enttäuschte, wie die folgende Grafik zeigt.
Während die weltweiten Aktien (gemessen am MSCI ACWI -> All Country World Index) seit 2020 um rund 60 % zulegten, hat sich der chinesische Markt (gemessen am MSCI China) seit 2020 um rund 20 % reduziert; seit seinem Hoch im Frühjahr 2021 um fast 50 %1. Eine Übergewichtung Chinas hätte einem globalen Aktiendepot also schweren Schaden zugefügt.
Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser, wir hoffen, es wurde deutlich, dass es uns bei diesem kurzen Ausflug ins China des Jahres 2020 nicht darum ging, recht behalten zu haben. Es hätte durchaus auch anders ausgehen können. Vielmehr möchten wir unterstreichen, dass es selbst zu den augenscheinlich plausibelsten ökonomischen Szenarien immer auch denkbare Alternativen gibt, die in eine völlig andere Richtung weisen. Eine gesunde Skepsis gegenüber allen noch so nachvollziehbar klingenden Prognosen ist daher absolut sinnvoll. Für mich persönlich gilt sogar: Je plausibler und „runder“ ein ökonomisches Szenario klingt, desto misstrauischer werde ich. Niemand kennt die Zukunft!