Ich könnte das nicht. Ich könnte kein Auge mehr zumachen, wenn ich meinen Kundinnen und Kunden unverblümt Produkte verkaufen würde, deren Rendite-Chancen in den Sternen stehen, die riskant, überaus komplex und noch dazu unverschämt teuer sind. Derartige Produkte gibt es viele am Markt, eines davon erlebt derzeit ein so erstaunliches Comeback, dass die Finanzaufsicht BaFin diese Entwicklung jetzt einmal genauer unter die Lupe nimmt. Anscheinend können andere Banker recht gut schlafen, obwohl sie ihre Kundinnen und Kunden en masse in fragwürdige Produkte treiben.
Zertifikate-Verkauf boomt
Es ist der Verkauf von Zertifikaten im großen Stil, der derzeit einen ungeahnten Boom erlebt. Der Absatz floriert, 2023 waren hierzulande sage und schreibe 112 Milliarden Euro in diese oft komplexen, zum Teil nur kurz laufenden Bankschuldverschreibungen investiert – das ist ein Anstieg um 40 Prozent binnen Jahresfrist.[1] Das erstaunt vor allem vor dem Hintergrund, dass Zertifikate sehr komplexe und hochriskante Produkte sind, bei denen der zu erwartende Ertrag in den meisten Fällen unvorhersehbar ist. In den USA ist der Verkauf an Privatanleger:innen nicht ohne Grund so gut wie verboten – und jetzt macht auch die deutsche Finanzaufsicht Druck.[2]
Auch die Zahlen des Bundesverbands für strukturierte Wertpapiere (BSW) belegen den Zertifikate-Boom, wie die nachfolgende Grafik zeigt: Innerhalb von vier Wochen ist das Marktvolumen von Zertifikaten deutlich gestiegen.[3]
Kurz zur Erinnerung: Was sind Zertifikate überhaupt?
Ein Zertifikat ist eine Schuldverschreibung, deren Wertentwicklung wiederum von der Wertentwicklung eines zugrundeliegenden Basiswertes abhängt – etwa Aktien eines bestimmten Unternehmens, Rohstoffe oder Währungen. Das Risiko, dass Zertifikate-Anbieter in die Zahlungsunfähigkeit rutschen könnten, wurde lange als rein theoretisch wahrgenommen – bis es dann am 15. September 2008 mit der Insolvenz von Lehman Brothers, einem fleißigen Herausgeber von Zertifikaten, Realität wurde. Von diesem Schock hat sich der Zertifikate-Markt nur langsam und mühsam erholt.
„Finanz-Szene“ hat Zertifikate-Boom eingehend untersucht
Schneller als die BaFin war der Branchen-Newsletter „Finanz-Szene“: Die Redakteure haben sich neulich in einem umfangreichen und detailliert recherchierten Artikel[4] diesem Zertifikate-Boom gewidmet. „Finanz-Szene“ stellt fest, dass einige Banken und Finanzinstitute im Zuge der Zinswende eine massive Zertifikate-Offensive gestartet haben, allen voran die Deka, die Fondstochter der Sparkassen-Gruppe. Anlegerinnen und Anleger, die von dem in jüngster Vergangenheit spürbar gestiegenen Zinsniveau profitieren wollen, bekämen weder entsprechende (Anleihe-/Geldmarkt-)Fonds noch Einlagenprodukte oder höherverzinste Termingelder verkauft, sondern vor allem Zertifikate, so der Branchen-Newsletter. Die oben gezeigten Zahlen lassen auf die Richtigkeit dieser Aussage schließen.
Alles halb so wild, könnte man jetzt sagen, wenn die Zertifikate unter dem Strich ansprechende Erträge abwerfen. Aber die Zahlen, die „Finanz-Szene“ mitliefert, zeigen ein gänzlich anderes Bild. Die Redakteure haben in einer umfassenden Analyse zwei wichtige Kennzahlen[5] aller jüngst emittierten Deka-Zertifikate untersucht, die für den Anlage(miss)erfolg der Kundinnen und Kunden maßgeblich sind:
Kostenbelastung von durchschnittlich 5 Prozent – allein im ersten Jahr
Es ist mir natürlich nicht neu, wie ungeeignet Zertifikate für Privatanleger:innen sind, die Ergebnisse der Analyse haben mich dennoch regelrecht erschüttert. Über die untersuchten 164 Deka-Zertifikate hinweg beträgt die Kostenbelastung im ersten Jahr durchschnittlich 4,7 Prozent. Knapp 5 Prozent – das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. 5 Prozent Kostenbelastung im ersten Jahr – das muss man als Anlegerin oder Anleger erst mal wieder reinholen. In der Spitze schaffen es einige Zertifikate sogar auf fast zweistellige Kostendimensionen, zum Beispiel das DekaBank Mercedes-Benz Best Express-Zertifikat Relax 07/2030 (DE000DK1BFX9) mit einer Kostenbelastung von 8,6 Prozent im ersten Jahr oder das DekaBank Volkswagen Best Express-Zertifikat Relax 07/2030 (DE000DK1BFW1), das Kosten von 8,4 Prozent im ersten Jahr verursacht.
An dieser Stelle wird von den Emittenten zwar gerne darauf hingewiesen, dass die Kosten in den Folgejahren ja deutlich sinken. Nur: Erstens sind sie auch dann immer noch zu teuer und zweitens haben viele Zertifikate von vornherein nur sehr kurze Laufzeiten von 14 oder 16 Monaten – oder sie sind so konstruiert, dass sie lange vor der maximalen Laufzeit „fällig“ werden. So übrigen auch die beiden oben erwähnten Zertifikate. Das zeigt sich laut „Finanz-Szene“ auch daran, dass die Deka zuletzt auf einen Nettoabsatz von 17 Mrd. Euro bei einem Zertifikate-Volumen von insgesamt nur 18 Mrd. Euro kam.[6] Sprich, der Kunde hat oft nur eine Haltedauer von etwas mehr als einem Jahr, das erste Jahr der Laufzeit scheint bei vielen der untersuchten Produkte auch das einzige Jahr Laufzeit zu sein, so der Branchen-Newsletter. Das heißt, die hohe Kostenbelastung aus dem ersten Jahr kann nicht durch später folgende günstigere Jahre wettgemacht werden (denn die gibt es ja nicht). Zertifikate-Käufer sind also bereits im ersten Jahr darauf angewiesen, eine sehr hohe Rendite einzufahren, um die hohen Kosten auszugleichen.
Und genau darauf ist bei Zertifikaten kein Verlass, ganz im Gegenteil. Schenkt man dem Finanz-Szene-Artikel Glauben, steht den oben genannten hohen Kosten im ersten Jahr nur eine Renditeerwartung von durchschnittlich 0,9 Prozent (nach Kosten) gegenüber. Diese Renditeerwartung möchte ich nur dahingehend kommentieren, dass allein die Range, in der die 164 untersuchten Zertifikate sich renditetechnisch bewegen, eine deutliche Sprache spricht – nämlich dass es ein absolutes Glücksspiel ist, ob Sie als Anleger:in ein Zertifikat mit einer Rendite von beispielsweise plus 70,8 Prozent (DekaBank Bonus-Zertifikat Pro 05/2030 bezogen auf den MSCI World Climate Change ESG Select 4.5% Decrement) erwischen oder eines mit einem Verlust von 69,1 Prozent (DekaBank TUI Express-Zertifikat Relax 06/2030). Alles ist möglich, kein Mensch weiß vorher, welches Zertifikat wie performen wird. Es ist ein Spiel mit dem Feuer, ein teures Spiel. Einzig der Zertifikate-Anbieter verdient immer.
Nicht LBBW oder Deka, sondern DZ Bank ist Marktführer
Die Deka ist laut „Finanz-Szene“ mit einem Marktanteil von 17,3 Prozent dabei nicht der einzige fleißige Zertifikate-Verkäufer, auch die Landesbank Baden-Württemberg, kurz: LBBW (18,4 Prozent), und die DZ Bank (16,5 Prozent, was einem Marktvolumen von etwa 17 Milliarden Euro entspricht) spielen hier ganz vorn mit. Der Marktanteil der DZ Bank ist laut „Finanz-Szene“ sogar noch höher als in der Grafik angegeben, da die DZ Bank nur strukturierte Produkte an den Branchenverband BSW reportet und damit weniger als beispielsweise LBBW und Deka. Würde die DZ Bank dieselben Zahlen melden, die auch die anderen Banken an die BSW berichten, dann läge ihr Marktanteil sogar bei 24 Milliarden Euro und damit ist die DZ Bank der eigentliche Zertifikate-Marktführer.[7]
Warum erzähle ich Ihnen das alles? Nicht, damit Sie Ihr Geld bei uns anlegen, Sie müssen Ihr Geld nicht bei uns anlegen, wirklich nicht. Sie können es überall anlegen, nur tun Sie sich selbst und Ihrem Geld einen großen Gefallen und investieren Sie nicht in Zertifikate, egal wie nett Ihre Beraterin oder Ihr Berater diese anpreist.
Wir sind keine Deutsche Bank, wir sind keine Commerzbank, wir sind keine Sparkasse – wir mögen so viel kleiner sein als diese Häuser, aber eines haben wir vielen Banken weit voraus: Wir verkaufen unseren Kunden keine teuren, ungeeigneten Produkte. Denn: Eine gute und günstige Geldanlage ist für alle Menschen möglich. Nur verdienen Banken und Finanzinstitute daran bei weitem nicht so viel, wie sich mit Zertifikaten verdienen lässt. Auch ich möchte Geld verdienen, deshalb habe ich ein Unternehmen und keine gemeinnützige Organisation gegründet. Aber eines will und werde ich niemals tun: meine Kund:innen „über den Tisch ziehen“.
So haben wir bereits 2012 als Bank einen Werbespot veröffentlicht, dessen Botschaft war: „Wer fair berät, schläft einfach besser“ und „Wer fair beraten wird, übrigens auch“. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen an dieser Stelle, dass Sie hoffentlich gut schlafen können, weil Sie entweder selbst fair beraten oder fair beraten werden.
Autor: Karl Matthäus Schmidt, Vorstandsvorsitzender der Quirin Privatbank und Gründer von quirion
Wir haben nicht in der Hand, was andere Banken anbieten – wir haben nur in der Hand, was wir Ihnen anbieten: eine unabhängige Beratung, ein fundiertes Anlagekonzept, faire Konditionen. Was daran besonders ist, lesen Sie in unserem Quirin Buch „endlich frei“ – das können Sie hier kostenlos bestellen.
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