Dem größten Vogel der Erde, dem Strauß, wird nachgesagt, dass er bei Gefahr den Kopf in den Sand stecken würde. Dieses Bild hat sich bei vielen Menschen fest verankert – und ist dennoch alles andere als zutreffend. Um sich bei Gefahr zu schützen, legt der Strauß seinen Kopf vielmehr auf den Boden – aus der Ferne kann das so wirken, als stecke er den Kopf in den Sand. Will er seine Eier schützen, legt er sich ebenfalls flach auf den Boden. Wird es richtig brenzlig, ergreift das Tier die Flucht und wird dabei trotz seiner enormen Größe und Fülle bis zu 70 km/h schnell. Oder es greift an und verteidigt sich und seinen Nachwuchs mit heftigen Schnabel- und Krallenhieben. Den Kopf aber steckt es niemals in den Sand, auch wenn es noch so oft behauptet wird.
Wer indes tatsächlich den Kopf in den Sand zu stecken scheint und drohendes Ungemach scheinbar nicht kommen sehen will, das sind die deutschen Filialbanken. Zumindest erwecken die Ergebnisse der BCG-Studie „Winning the Emerging Affluent Investor“ diesen Eindruck.[1] Auf die Banken mit Filialbetrieb rollt ein Problem zu, welches sie vermutlich noch gar nicht erkannt haben oder vor dem sie scheinbar die Augen verschließen wollen.
Denn laut der Studie haben 80 Prozent aller von BCG befragten Emerging-Affluent-Kunden ihre Wertpapieranlagen nicht mehr bei einer klassischen Filialbank. 80 Prozent. Das ist gewaltig. Vor allem mit Blick auf die Tatsache, dass ein großer Teil aller Bankerträge aus dem Anlagegeschäft stammt. Und wo kein Anlagegeschäft mehr, da keine Erträge mehr. Stattdessen vertrauen Anlegerinnen und Anleger ihr Geld immer häufiger digitalen Mitbewerbern an: 42 Prozent legen ihr Geld lieber bei Direktbanken und 38 Prozent lieber bei (Neo-)Brokern an.
Doch es kommt noch schlimmer: Selbst beim Kerngeschäft der Filialbanken, den Girokontoverbindungen, sieht es trübe aus. Nur noch jeder zweite der Befragten hat seine Hauptkontoverbindung in einer Filialbank. Die andere Hälfte führt die Hauptkontoverbindung zu 43 Prozent bei Direktbanken, 6 Prozent bei Neobanken.
Das heißt: Die Filialbanken verkommen mehr und mehr zum Gehaltskontoverwalter, und selbst hier sind sie nicht mehr marktdominierend, sondern haben einen Großteil ihrer Kunden an nichtstationäre Banken verloren. Die alteingesessenen Banken denken dabei scheinbar immer noch: Alles ist gut, denn ein großer Teil der Girokonten wird noch bei uns, den Filialbanken, betreut. Der Punkt ist aber, dass die wichtigen Themen bei anderen Mitbewerbern stattfinden: die Anlage der Kundenvermögen in Wertpapierdepots. Diese liegen mehr und mehr in der Hand von Direktbanken und Neobrokern, diese betreuen die Depotverbindungen und damit die Vermögen der Kunden.
Girokonten immer teurer
Infolgedessen steigen die Gebühren für die Girokonten seit Jahren, wo sie Kundinnen und Kunden früher mehr oder minder sehr günstig oder kostenfrei hinterhergeworfen wurden. So ist es nicht verwunderlich, dass die Deutschen mittlerweile im Schnitt 117 Euro[2] per anno für ihr Girokonto bezahlen, immerhin fast 10 Euro pro Monat. Das Girokonto, früher oft eine kostenlose Beigabe, wird heute mehr und mehr zum teuer erkauften Muss.
Diese zuletzt stetig steigenden Gebühren sind notwendig, um einerseits wegfallende Margen in anderen Geschäftsbereichen zu kompensieren, andererseits aber auch, um die Kundenabwanderung zu anderen Anbietern finanziell ausbalancieren zu können, insbesondere das Abwandern vermögender Kunden, wie die BCG-Studie sie untersucht hat.
Jüngere Generationen verschärfen das Problem
Verschärft wird die Situation der Filialbanken und deren Kundenabwanderung zu anderen Anbietern durch die nachkommenden Generationen – die potenziellen Kunden der Gen X, Y und Z kennen Banken kaum von innen, sie nutzen Finanzdienstleistungen auf ganz anderen Wegen als ihre Eltern und Großeltern. Auch wenn gerade die alteingesessenen Banken das gern komplett ausblenden würden, Fakt ist: Die neue Generation hat sich längst von den Filialbanken abgewendet.
Alle Kunden halten
Insbesondere das Abwandern der wichtigen Kundengruppe der Emerging-Affluent-Kunden ist problematisch, damit haben die Filialbanken ein echtes Problem. Denn das sind die Kunden, die einen Großteil der Erträge bringen. Und ja, auch wenn hier allen voran die Sparkassen und Genossenschaftsbanken ihren Joker ziehen und ihr Lieblingsargument – „Wir wollen uns nicht nur um die vermögenden, sondern um alle Kunden kümmern“ – bringen werden, Fakt ist: Gerade wenn man sich um alle Kunden kümmern will, ist es wichtig, auch die Emerging-Affluent-Kunden zu halten, um auf eine stabile Ertragsbasis setzen zu können. Stattdessen gehen aber genau diese einkommens- und vermögensstarken Kunden mehr und mehr zu anderen Anbietern.
Eine Zeitenwende
Zusammenfassend muss ich sagen, dass die BCG-Zahlen in meinen Augen eine echte Zeitenwende beschreiben. Es sind nicht die ersten Zahlen dieser Art, aber es sind wichtige Zahlen. Dass deutsche Filialbanken – Sparkassen wie private Institute gleichermaßen – vor großen Herausforderungen stehen, ist nicht neu. Dass ihre Kunden mehr und mehr zu anderen Anbietern abwandern, ebenfalls nicht. Dass sie aber gerade im Bereich der Wertpapieranlage und sogar in ihrem Kerngeschäft, bei den Girokonten, nur noch für 20 Prozent bzw. 50 Prozent der Kunden der erste Anlaufpunkt sind, ist alarmierend.
Etablierte Häuser sollten auf diese Zahlen reagieren, so die Empfehlung der BCG auf der unternehmenseigenen Website. Doch die stecken – zumindest ist das mein ganz persönlicher Eindruck – den Kopf lieber in den Sand, als mit klugen Maßnahmen um ihre Kunden zu kämpfen. Ich bin gespannt, wie lange diese Vogel-Strauß-Taktik, die nicht einmal der Strauß selbst praktiziert, noch gutgeht.
Autor: Karl Matthäus Schmidt, Vorstandsvorsitzender der Quirin Privatbank und Gründer von quirion
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