Regelmäßige Leser unseres „Logbuchs“ wissen bereits, dass wir im Kern unseres Anlagekonzepts auf einen so einfachen wie wirkungsvollen Zusammenhang setzen. Dieser besteht zwischen der Wertentwicklung der globalen Aktienmärkte insgesamt und dem weltwirtschaftlichen Wachstum. Für unser Anlagekonzept bedeutet das: Wer möglichst breit gestreut in den weltweiten Aktienmarkt investiert, der investiert letzten Endes langfristig in nichts anderes als die Entwicklung der Weltwirtschaft. Und da die Weltwirtschaft langfristig beständig wächst, ja aus ökonomischer Sicht gewissermaßen sogar wachsen muss (solange das marktwirtschaftliche System funktioniert), ergeben sich für einen so positionierten Anleger langfristig immer auch auskömmliche Renditen. Von daher sind für eine derartig strategische, im Grunde einzig „echte“ Investition sogenannte „aktive“ Anlagestrategien aus Anlegersicht vollkommen überflüssig. Diese versuchen auf Basis von Prognosen, richtige Zeitpunkte für Kauf- und Verkaufsentscheidungen zu identifizieren („Timing“) oder die vermeintlich aussichtsreichsten Einzeltitel („Stock Picking“) oder Marktsegmente auszuwählen. Solche Strategien sind aus Sicht der Kapitalmarktforschung ohnehin nicht von verlässlichem Erfolg gekrönt.
Genau über diese Zusammenhänge haben wir vor zwei Wochen am Beispiel der USA in unserem Logbuch „Allzeithochs an den Aktienmärkten – Einstieg sinnlos? Oder gar Zeit auszusteigen?“ ausführlich gesprochen.
In Reaktion darauf hat uns mehrfach eine Frage erreicht, die uns auch sonst oft gestellt wird und die auch aufgrund ihrer gesellschaftlichen Tragweite zu Recht wieder im öffentlichen Diskurs zu finden ist:
„Kann es denn immerwährendes wirtschaftliches Wachstum überhaupt geben? Und selbst wenn: Sollten wir es dann überhaupt anstreben?“
Auf unser Anlagekonzept bezogen bedeutet dies, dass es offenbar nicht unerhebliche Zweifel an dessen Basis gibt – nämlich der Annahme langfristig fortwährenden positiven weltwirtschaftlichen Wachstums. Aber sind diese Zweifel auch berechtigt? Stellen sich immer mehr Menschen zu Recht die Frage, ob es mit der Weltwirtschaft unbegrenzt immer nur aufwärtsgehen kann oder ob nicht irgendwann ein Punkt erreicht ist, an dem keine Steigerung mehr möglich ist – oder ob die Wirtschaftsleistung vielleicht sogar überhaupt nicht mehr gesteigert werden sollte?
Zunächst einmal scheinen uns diese Fragen von einem ausgesprochenen Fokus auf die Industrieländer, also auf unsere eigene Lebensrealität, geprägt zu sein. Hierzulande erscheint die kritische Auseinandersetzung, ob es tatsächlich jedes Jahr „immer mehr“ werden muss, zunächst einmal berechtigt zu sein – verfügen wir doch (zumindest im Durchschnitt) schon heute über einen hohen Wohlstand.
Wenn wir aber die Perspektive auf die weltweite Entwicklung lenken, zeigt sich: Es gibt noch immer viele Volkswirtschaften (und Menschen, die in ihnen leben), die ein sehr großes und sehr berechtigtes Interesse daran haben, dass der Wohlstand spürbar wächst bzw. überhaupt entsteht. Für die Entwicklungsländer ist und bleibt das wirtschaftliche Wachstum unabdingbar, um existenzielle Probleme wie Hunger und gesundheitliche Versorgungsdefizite bis hin zu Gewalt und Krieg überhaupt lösen zu können.
Verstehen Sie uns bitte nicht falsch: Wirtschaftliches Wachstum ist keinesfalls ein Selbstläufer, um diese Probleme zu lösen. Es muss natürlich nachhaltiger vonstattengehen als in den vergangenen Jahrzehnten, es muss der breiten Bevölkerung und nicht wie bislang so oft nur korrupten Eliten in den Entwicklungs-, aber auch den Industrieländern zugutekommen. Es muss sich mithin vieles ändern, damit es (noch) besser wird und in allen Gesellschaftsschichten ankommt – ohne wirtschaftliches Wachstum wird es aber in keinem Fall funktionieren. Das zeigt auch ein Blick auf das, was schon in den letzten Jahrzehnten in den Entwicklungsländern erreicht wurde, und zwar nicht nur, aber vor allem durch wirtschaftliches Wachstum.
Die positiven Wirkungen dieses Wachstums lassen sich anhand anerkannter Kennzahlen zum globalen gesellschaftlichen Fortschritt belegen.
Zwischenfazit: Es kann nicht im Interesse der Menschen in Entwicklungsländern (und damit letztlich auch nicht in unserem Interesse) sein, dass in Zukunft kein oder nur noch ein sehr geringes weltwirtschaftliches Wachstum angestrebt wird.
Obwohl die eingangs genannten Zweifel an der Sinnhaftigkeit des Wachstums also zunächst durchaus nachvollziehbar sind, erweisen sie sich aber aufgrund ihrer oft aus Industrieländer-Perspektive formulierten Absolutheit zumindest für die Entwicklungs- und Schwellenländer als sehr fragwürdig.
Wachstum ist nicht gleich Wachstum
Zudem vermuten wir, dass die Zweifel auch auf einer zu engen Vorstellung dessen beruhen, was Wirtschaftswachstum letztlich bedeutet – und vor allem bedeuten kann. Viele haben hierbei das falsche Bild eines rein quantitativ ausgerichteten Immermehr an Gütern und Dienstleistungen vor Augen. In einem solchen rein quantitativen Kontext wäre permanentes Wachstum in der Tat fragwürdig.
Von den Kritikern wird aber häufig übersehen, dass es neben einem rein quantitativen auch ein qualitatives Wachstum gibt und dass diese Art des Wachstums in einem marktwirtschaftlichen Ordnungsrahmen mit fortschreitender wirtschaftlicher Entwicklung zunehmend an Bedeutung gewinnt. Der entscheidende Punkt, ob bestimmte Güter und Dienstleistungen – welche auch immer - zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) und dessen Wachstum beitragen, ist letztlich, ob die Menschen bereit sind, dafür zu bezahlen – sprich ob die Güter und Dienstleistungen einen Preis haben. Und genau das ist der Grund, warum im offiziell gemessenen BIP-Wachstum – dem ja immer mit Preisen bewertete Güter und Dienstleistungen zugrundeliegen – qualitative Aspekte u. U. sogar eine sehr große Rolle spielen können.
Qualitatives Wachstum – ein Schlüssel für bessere Lebensqualität
Lassen Sie uns, geehrte Leserin, geehrter Leser, anhand eines Gedankenexperiments, dessen Gegenstand uns auch persönlich sehr am Herzen liegt, erläutern, was wir damit genau meinen. Stellen Sie sich vor, die Mehrheit der Verbraucher in Deutschland würde zur Kenntnis nehmen, dass die Steaks, welche in der Pfanne brutzeln, einmal Lebewesen aus Fleisch und Blut waren. Und nehmen wir weiter an, dass die Verbraucher genau aus diesem Grund großen Wert auf artgereichte Tierhaltung legen würden und auch bereit wären, dafür um 30 % höhere Preise für Fleisch- und Wurstwaren zu akzeptieren. Ein 180-g-Schweinesteak beispielsweise würde dann eben nicht mehr nur wie derzeit ca. 3,50 Euro, sondern 30 % mehr, also 4,55 Euro kosten. Aufgrund der damit einhergehenden Verbesserung des Tierwohls würden die Verbraucher dies aber akzeptieren und zugleich ihren Fleisch- und Wurstverbrauch um 20 % einschränken. Was würde dies nun aber für das BIP-Wachstum bedeuten?
Zunächst hätten wir es mit einem Rückgang der Produktion um 20 % zu tun. Es würden 20 % weniger Tiere geschlachtet, die zugleich aufgrund ihrer artgerechten Haltung deutlich weniger leiden müssten. Der Wachstumsbeitrag der fleischverarbeitenden Industrie zum BIP wäre jedoch nicht ein Minus von 20 %. Denn für die Auswirkung auf das BIP-Wachstum ist eben nicht nur der Mengeneffekt (20 % weniger Produktion), sondern auch der relative Preiseffekt ausschlaggebend. Und hier hatten wir in unserem Beispiel ja angenommen, dass die Zahlungsbereitschaft und damit auch die Preise für Produkte aus artgerechter Tierhaltung um 30 % steigen. Für das BIP-Wachstum bedeutet das: 80 % der Produktion (oder 0,8) sind mit 130 % des Preises (oder 1,3) zu multiplizieren: Es ergibt sich 1,04 und damit ein um 4 % höheres Bruttoinlandsprodukt als zuvor (100 % Produktion zu 100 % des Preises = BIP von 1). Fazit unseres (natürlich stark vereinfachten) Beispiels: Die Zunahme des BIP um 4 % entspricht einem rein qualitativen Wachstum, welches zu einer erheblichen Verbesserung des Tierwohls geführt hat.[1]
Ein immer größeres BIP muss also nicht bedeuten, dass eine immer größere Menge an Gütern und Dienstleistungen unserem Planeten zum Nachteil von Mensch, Tier und Umwelt abgerungen wird. Gerade in entwickelten Volkswirtschaften sollte und wird es in Zukunft immer mehr darum gehen, qualitatives Wachstum in den Vordergrund zu stellen. Dies stellt sich allerdings entgegen vielfach geäußerter anderslautender Positionen durchaus auch in einem BIP-Wachstum dar, und zwar durch höhere Preise für die Güter und Dienstleistungen, die in einer Volkswirtschaft qualitative Verbesserungen bewirken.
Fazit: Ein auch in Zukunft anhaltendes Wirtschaftswachstum weltweit ist also zum einen aufgrund der nötigen Aufholbewegungen der Schwellenländer und zum anderen aufgrund der qualitativen wirtschaftlichen Verbesserungen (vor allem) in den Industrieländern erstens vollkommen realistisch und zweitens unter den genannten Voraussetzungen auch absolut wünschenswert.
Der mit Hilfe des obenstehenden Gedankenexperiments illustrierte Aspekt des qualitativen Wachstums macht dabei deutlich, dass Wirtschaftswachstum letztlich nichts anderes ist als die ökonomische Konsequenz des permanenten Strebens der Menschen nach einer Verbesserung ihrer Lebensumstände. Speziell im Rahmen eines freien und marktwirtschaftlich organisierten Ordnungsrahmens wird dabei in einem beispiellosen Umfang Kreativität und Erfindungsreichtum freigesetzt, die letztlich in einen nicht abreißenden Innovationsstrom münden. So gesehen ist Wachstum nach unserer Überzeugung nichts anderes als Ausdruck der menschlichen Natur.
Von daher ist dann – um auf die vergleichsweise kleine Welt unseres Anlagekonzepts zurückzukommen – tatsächlich auch bei den Renditeperspektiven einer weltweit gestreuten Aktieninvestition tatsächlich kein Ende absehbar. Das hat nichts mit Realitätsferne, Gier oder Wunschdenken zu tun. Sondern schlicht mit der Erwartungshaltung, dass unsere marktwirtschaftliche Ordnung auch zukünftig in der Lage sein wird, das zu tun, was sie in den letzten Jahrzehnten geleistet hat: im Rahmen einer unter Schwankungen langfristig letztlich aufwärtsgerichteten Wirtschaftsleistung die Lebensgrundlagen der Menschen weltweit quantitativ wie qualitativ zu verbessern.
Autor: Prof. Dr. Stefan May, Leiter Anlagemanagement der Quirin Privatbank, und sein Team
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[1] Selbstverständlich ist uns bewusst, dass es sich beim üblicherweise ausgewiesenen realen BIP-Wachstum um eine inflationsbereinigte Wachstumsgröße handelt. Allerdings erfolgt hierbei eine Korrektur um den Anstieg des allgemeinen Preisniveaus. Mit unserem extrem vereinfachten Beispiel wollen wir aber die Auswirkungen einer Verschiebung relativer Preise verdeutlichen, beispielsweise eines Anstiegs der Fleischpreise im Vergleich zum restlichen Warenkorb. Solche Preisverschiebungen schlagen sich durchaus in einem realen BIP-Wachstum nieder.
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