Obwohl in vielerlei Hinsicht noch Klärungsbedarf besteht und viele Details noch nicht feststehen, kristallisieren sich bereits erste Eckpunkte einer staatlich geförderten privaten Altersvorsorge heraus. Ausdrücklich möchten wir die bereits erkennbaren positiven Aspekte betonen, aber auch auf mögliche Probleme und Schwachstellen hinweisen, die das Ganze – ähnlich wie die Riester-Rente – noch zu einem Flop werden lassen können.
Im Prinzip geht es darum, die Renditechancen der Kapitalmärkte besser für die Altersvorsorge zu nutzen. Die Grundidee: Man richtet ein Wertpapierdepot ein und kann dort staatlich gefördert für das Alter vorsorgen. Zum Beispiel mit einem ETF-Sparplan. Hierzu muss das Depot lediglich als Altersvorsorgedepot deklariert werden. Dabei ist nicht geplant, die staatliche Förderung an irgendwelche Garantieleistungen der Anbieter zu knüpfen.
Verzicht auf Garantien
Und damit sind wir schon beim ersten positiven Aspekt des Vorschlags: Denn die Garantiezusagen hatten bisher verhindert, dass in ausreichendem Maße in Aktien investiert werden konnte. Darauf nun zu verzichten, ist nicht nur positiv für die erwartete Wertentwicklung der angelegten Vermögen, sondern auch verantwortbar. Denn es geht ja ausdrücklich um die Altersvorsorge, also um eine in der Regel sehr lange Ansparphase. Und über lange Zeithorizonte gerechnet kann man selbst bei einer Aktienquote von 100 % (die ja nicht zwingend ist!) trotz zwischenzeitlich starker Kursschwankungen fast mit Sicherheit damit rechnen, dass eine vernünftig strukturierte Aktienanlage eine positive Rendite abwerfen wird, das Vermögen also anwächst. Unsere eigenen historischen Analysen zeigen, dass ein weltweit breit gestreutes Aktienportfolio selbst unter Berücksichtigung der schlimmsten Krisenphasen der letzten 50 Jahre und des denkbar schlechtesten Einstiegszeitpunkts spätestens nach 14 Jahren eine positive Rendite erzielt hätte. Letztlich wären die bisher als zwingend angesehenen Garantien also überflüssig gewesen.
Unkomplizierte und einfache Förderung
Ein weiterer positiver Aspekt ist die geplante konkrete Ausgestaltung. Zumindest die aktuell vorliegenden Informationen geben Anlass zur vorsichtigen Hoffnung, dass diesmal vielleicht doch ein einfaches und unkompliziertes Modell eingeführt wird.
Die Idee: Jede Person kann bei einer Bank oder einem digitalen Vermögensverwalter künftig ein Wertpapierdepot einrichten und als „Altersvorsorgedepot“ deklarieren. In dieses Depot kann sie Einzahlungen bis zu einer bestimmten Höchstgrenze – in der Diskussion sind 2.500 bis 3.000 Euro pro Jahr – von der Einkommensteuer absetzen. Die Deklaration als Altersvorsorgedepot bewirkt zudem eine komplette Steuerbefreiung sämtlicher Erträge in der Ansparphase. Dadurch können sich die Renditechancen von Aktien noch besser entfalten. Der Zinseszinseffekt – erzielte Gewinne erzeugen langfristig selbst wieder neue Gewinne – wird nicht ausgebremst, weil zwischenzeitliche wertmindernde Steuerabzüge entfallen. Auch soll im Depot beliebig oft umgeschichtet werden können, ohne dass dies steuerliche Auswirkungen hätte.
Selbstverständlich müssen Erträge versteuert werden, aber sie werden „nachgelagert“ fällig, d. h. erst in der sogenannten Entnahmephase, sprich ab Rentenantritt. Allerdings ist aktuell noch unklar, zu welchem Satz nachgelagert besteuert werden soll, zum Abgeltungssatz[1] oder zum individuellen Einkommensteuersatz. In der erwähnten Verlautbarung ist zwar vom individuellen Steuersatz die Rede, wir haben aber auch schon Positionen gehört, die sich für den Abgeltungssteuersatz stark machen.
Nachgelagerte Besteuerung – die konkrete Gestaltung ist entscheidend
Zudem ist noch offen, wie genau die nachgelagerte Besteuerung erfolgen soll. Im Grunde gibt es zwei Möglichkeiten: eine einmalige Besteuerung sämtlicher in der Ansparphase akkumulierten Kapitaleinkünfte[2] oder eine anteilige Besteuerung der konkreten Auszahlungen in den einzelnen Jahren der Entnahmephase.[3] Eine einmalige steuerliche Veranlagung des gesamten Ertragsanteils wäre allerdings für Sparerinnen und Sparer in höchstem Maße demotivierend. Daher hoffen wir dringend, dass lediglich der Ertragsanteil der jeweiligen Auszahlungen jährlich zu versteuern sein wird. Dies wäre übrigens auch für den Fiskus sinnvoller. Denn wenn ein bestimmtes Kapital angesammelt wurde und dann in der Entnahmephase nach und nach aufgezehrt wird – was ja der Sinn der Sache ist! –, dann bleiben Teile des Vermögens weiterhin investiert und erwirtschaften Kapitaleinkünfte. Die können dann zusätzlich versteuert werden – aber eben erst später bei Auszahlung. In der Summe wären die Steuereinnahmen bei einer anteiligen, auszahlungsbezogenen Besteuerung sogar höher. Im Falle der Übertragung des Vermögens an eine andere Person – sei es durch Erbschaft oder Schenkung – wäre dessen Ertragsanteil allerdings insgesamt zu versteuern.
Doch wie auch immer die endgültige Lösung aussehen mag, die Steuerbefreiung in der Ansparphase, der Verzicht auf Garantieleistungen sowie die – hoffentlich! – unkomplizierte Umsetzung sind in jedem Fall positiv zu bewerten.
Leider gibt es aber auch Aspekte, die befürchten lassen, dass das ganze Vorhaben doch noch scheitert bzw. genauso wenig Erfolg haben könnte wie die Riester-Rente. Konkret geht es um die Kosten sowie die hinter den Altersvorsorgedepots stehenden Anlagestrategien.
Fehlende Kostenbegrenzung und Qualitätsstandards sind die Sorgenkinder des Konzepts
In keiner der uns bekannten Verlautbarungen zum geplanten Altersvorsorgedepot ist von einer konkreten Kostenbegrenzung oder Qualitätsstandards die Rede. Das lässt Schlimmstes befürchten, denn alle bisherigen Versuche, die private Altersversorgung zu fördern, hatten das Manko deutlich erhöhter Kosten. Mehr noch als die immer wieder vorkommenden Aktienmarkteinbrüche und Schwächephasen behindern aber hohe Kosten eine auf lange Sicht angelegte Vermögensbildung.
Offenbar wird die Bedeutung des Kostenfaktors immer noch unterschätzt. Deshalb möchten wir ihn durch realistische Beispielrechnungen verdeutlichen. Als Ausgangspunkt stellen wir uns das Depot einer jungen Frau vor, in das über 35 Jahre lang jährlich 3.600 Euro einbezahlt werden – inkl. einer Starteinzahlung in gleicher Höhe insgesamt also 129.600 Euro.
Für die Wertentwicklung dieses Depots unterstellen wir, dass es sich prozentual genauso entwickeln wird wie der internationale Aktienindex MSCI World in den vergangenen 35 Jahren. Dieser konnte jährlich im Schnitt um 7,06 % zulegen, bei einer Volatilität[4] von 18,66 %. Genau das unterstellen wird auch für das Depot unserer Beispielrechnung, deren Ergebnisse für jeweils unterschiedliche Kostensätze in der folgenden Tabelle zusammengefasst sind.
Vor Kosten hätte das Depot nach 35 Jahren einen Wert von 658.130 Euro. Nach Abzug von jährlichen Kosten in Höhe von 2,5 % des jeweils vorliegenden Depotvolumens beträgt der Wert nur noch 369.049 Euro. Es entsteht daher ein kostenbedingter Nachteil in Höhe von 289.081 Euro, also immerhin fast der Hälfte des potenziell möglichen Vermögens. Die negativen Effekte der Kosten entstehen jedoch nicht nur unmittelbar durch die bezahlten Gebühren, sondern auch mittelbar dadurch, dass die Gebührenabzüge – ähnlich wie Steuerabzüge – die Dynamik der Vermögensentwicklung ausbremsen.[5]
Die folgende Balkengrafik stellt für unterschiedliche Kostensätze das in 35 Jahren zu erwartende Vermögen vor Kosten den entsprechenden Nach-Kosten-Werten gegenüber.
Unsere Berechnungen belegen, dass der langfristige Erfolg eines Altersvorsorgedepots entscheidend davon abhängt, dass es zu geringstmöglichen Kosten eingerichtet und gemanagt wird. Da bei Riester-Verträgen Kostensätze von 2,5 % jährlich durchaus üblich sind, wird durch diese Zahlen nachvollziehbar, warum wir Riester-Verträge als problematisch betrachten.
Kann es der Markt regeln?
Vor dem Hintergrund seiner überragenden Bedeutung verwundert es, dass das Thema Kosten von der Politik bis dato nur stiefmütterlich behandelt wird. Offenbar scheint man darauf zu vertrauen, dass allein die Konkurrenz und Marktkräfte dafür sorgen, dass sich die besten Angebote durchsetzen. Das ist jedoch völlig unangebracht. Die bisherigen Erfahrungen haben gezeigt, dass der Wettbewerb eben nicht dazu führt, dass flächendeckend in qualitativ hochwertige, aber trotzdem kostengünstige Anlageprodukte investiert wird. Bedauerlicherweise gilt das vor allem für kleine Anlagebeträge, bei denen eine gute Wertentwicklung besonders wichtig wäre.
Neben diesen Erfahrungswerten gibt es auch theoretisch-ökonomische Gründe, in dieser Hinsicht nicht allzu sehr auf den Markt zu vertrauen. Ähnlich wie der „Markt“ für Gesundheitsdienste ist auch der Markt für Finanzdienstleistungen durch asymmetrische Informationen geprägt. Er funktioniert daher völlig anders als gewohnt. Wo im Gesundheitswesen das Problem besteht, dass es im Zweifel um Leben und Tod geht, ist es in der Finanzbranche die Tatsache, dass sich die wirkliche Qualität einer Finanzmarktanlage erst nach Jahren, vielleicht sogar erst nach Jahrzehnten zeigt. Dadurch werden die gewohnten Konkurrenzmechanismen verhindert, was dazu führt, dass die Marktkräfte letztlich versagen.[6]
Eine unmittelbare Konsequenz daraus ist, dass der Preis kein einigermaßen zuverlässiger Qualitätsindikator mehr ist. Normalerweise würde man davon ausgehen, dass ein Paar Schuhe, welches 300 Euro kostet, besser ist als ein Paar für 100 Euro. Zumindest im Regelfall signalisiert ein höherer Preis für eine Ware oder Dienstleistung also auch eine höhere Qualität.
Bei Finanzanlagen ist aber genau das Gegenteil der Fall. Eine Vielzahl wissenschaftlicher Studien belegt einen negativen Zusammenhang zwischen den jährlichen Kosten eines Investmentfonds und dessen Wertentwicklung. Ja, es wird sogar diskutiert, ob der jährliche Kostensatz nicht sogar der zuverlässigste Einzelindikator für die Qualität eines Fonds ist. Aber eben nicht in der gewohnten Weise, also höherer Preis gleich höhere Qualität, sondern genau umgekehrt.[7] [8]
Die folgenden Streudiagramme belegen diesen ungewöhnlichen Zusammenhang. Sie sind aus einer Studie zu diesem Thema entnommen[9] und zeigen für verschiedene Aktienmärkte, wie jährliche Gesamtkosten und prozentuale Wertentwicklung zusammenhängen. Trotz der großen Streuung zeigt sich in allen betrachteten Märkten ein negativer Zusammenhang, der durch die Trendlinie verdeutlicht wird: Je höher die Fondskosten, desto schwächer ist tendenziell die Erfolgsbilanz des Fonds, gemessen an seiner Mehrrendite gegenüber einem repräsentativen Vergleichsindex.
Anlegerinnen und Anleger, die sich aufgrund ihrer Überzeugung, dass höhere Kosten auch einer besseren Wertentwicklung entsprechen, für eher teure und damit herkömmliche aktiv gemanagte Finanzanlagen[10] entscheiden, werden letztlich mit einer schlechteren Wertentwicklung dastehen. Das ist die eigentliche Botschaft der obigen Darstellung und der entsprechenden Studien.
Die meisten Menschen sind sich dieser Tatsache jedoch nicht bewusst. Weil sie es von „normalen“ Märkten so gewohnt sind, gehen sie stillschweigend davon aus, dass auch die höheren Kosten eines aktiv gemanagten Investmentfonds einer höheren Qualität entsprechen und damit zu einer besseren Wertentwicklung führen. Der Nachteil höherer Kosten wird – so die verbreitete Überzeugung – durch eine überlegene Performance mehr als wettgemacht. Die einschlägigen Marketingkampagnen der diversen Banken und Fondsgesellschaften bestärken Anlegerinnen und Anleger in dieser falschen Einschätzung. Und zwar aus dem einzigen Grund, weil es sich am Vertrieb teurer, aktiv gemanagter Anlagen ganz hervorragend verdienen lässt.
Aufgrund dieser Zusammenhänge ist zu befürchten, dass auch die geplanten Altersvorsorgedepots in der Umsetzung wieder vorrangig mit teuren und aktiv gemanagten Produkten bestückt werden. Bei Riester-Verträgen zumindest ist genau das passiert.
Was wir für wichtig halten
Die skizzierten Zusammenhänge und Fakten scheinen in der Politik noch nicht richtig angekommen bzw. in ihrer ganzen Tragweite noch nicht richtig erfasst worden zu sein. Nur so ist erklärbar, dass Kosten- und Qualitätsaspekte bisher so wenig thematisiert werden. Nur den Weg für Aktien zu ebnen – so wichtig das ist – gewährleistet noch nicht den Erfolg. Dafür müssen auch die Qualität der entsprechenden Anlagen sowie die Kosten stimmen.
Darum empfehlen wir dringend, die Kosten zu begrenzen, darüber hinaus aber auch verbindliche Qualitätsstandards zu definieren, die jedes geförderte Altersvorsorgedepot erfüllen muss.
Konkret stellen wir uns eine Begrenzung der Gesamtkosten vor, die u. U. sogar regelmäßig an Effizienzsteigerungen in der Finanzdienstleistungsbranche angepasst werden könnte. Aktuell halten wir einen maximalen jährlichen Gesamtkostensatz von 1 % des Depotvolumens für angemessen. Nur durch eine konsequente Kostendeckelung kann die gängige und leider immer noch erfolgreiche Praxis unterbunden werden, völlig überhöhte Gebührensätze durch den Verweis auf vermeintlich überlegene Anlagekonzepte und -produkte durchsetzen zu können.
Verbindliche Qualitätsstandards sollten nicht so eng festgelegt werden, dass sie mögliche Innovationen verhindern. Allerdings halten wir es für zwingend erforderlich, dass die Altersvorsorgedepots international ausgerichtet und möglichst breit diversifiziert sind. Bei Aktien empfiehlt sich eine Anlehnung an die Marktkapitalisierungen und bei Anleihen die Streuung über verschiedenste Restlaufzeiten und Emittenten.
Mit unserer Forderung nach verbindlichen Qualitätskriterien wollen wir uns beileibe nicht zum Fürsprecher einer noch engeren Regulierung und weiter ausufernden Bürokratie machen. Letztlich sind es nicht so viele Standards, die eingehalten werden sollten. Insbesondere muss für ihre Durchsetzung kein zusätzlicher Verwaltungsapparat aufgebaut werden und man benötigt dafür weder eine eigene Zertifizierungsagentur noch weitere verbeamtete Staatssekretäre.
Wenn die skizzierten Zusammenhänge unberücksichtigt bleiben und sowohl Kosten- als auch Qualitätsaspekte nicht bzw. in falscher Weise berücksichtigt werden, wird auch der aktuelle Anlauf, die private Altersvorsorge nach vorne zu bringen, damit enden, dass die staatlichen Fördersummen direkt in die Taschen der Finanzdienstleistungsbranche umgeleitet werden. Bisher war das leider immer der Fall.