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Inflationsraten rückläufig – Problem gelöst?

Prof. Dr. Stefan May
,
Leiter Anlagestrategie und Produktentwicklung
8
Minuten

Auf den ersten Blick scheint die Gefahr gebannt, der Kampf gegen die hartnäckige Inflation gewonnen zu sein: Im September lag die Inflationsrate in Deutschland bei nur noch 1,6 % und damit auch unter dem mittelfristigen Inflationsziel der EZB in Höhe von 2 %. Die aktuelle Teuerungsrate liegt damit so niedrig wie seit über 3 Jahren nicht mehr – genau genommen handelt es sich um den tiefsten Stand seit Februar 2021.

Das Wichtigste in Kürze

  • Der zuletzt starke Rückgang der deutschen Inflationsrate auf 1,6 % nährt die Hoffnung auf ein Ende der Hochinflationszeiten.
  • Trotzdem sind steigende Lebenshaltungskosten nach wie vor eine der größten Sorgen der Bürger.
  • Diese Sorgen sind nicht so irrational, wie häufig unterstellt wird.
  • Zudem zeigt ein genauerer Blick auf die Details der Inflationszahlen, dass auch für die zukünftige Preisstabilität noch Risiken bestehen.

Zur Erinnerung: Ende 2022 lag die Inflationsrate in Deutschland bei knapp 9 % und in der Euro-Zone sogar bei etwas über 10 % (!). Angesichts einer aktuellen Teuerungsrate von 1,6 % (Deutschland) bzw. 1,8 % (Euro-Zone) liegt der Schluss nahe: Um die Inflation muss man sich fortan keine Sorgen mehr machen, die Zeiten stark steigender Preise liegen endgültig hinter uns. Die momentane Nachrichtenlage (Nahost-Konflikt, Rezessionssorgen in Deutschland, anstehende US-Präsidentschaftswahl) tut ihr Übriges, dass der Inflation derzeit in der Öffentlichkeit weniger Beachtung geschenkt wird.

Die größte Sorge der Deutschen: Inflation

Einmal im Jahr befragt der Versicherer R+V die Menschen in Deutschland, wovor sie am meisten Angst haben. In persönlichen Gesprächen werden jeweils 2.400 Männer und Frauen von 14 Jahren an aufwärts, die repräsentativ ausgewählt werden, interviewt. Das Ergebnis in diesem Jahr: Auf dem ersten Platz liegt die Angst vor steigenden Lebenshaltungskosten – sprich: die Sorge vor Inflation.

Von manchen Ökonomen und der Presse wird dies häufig als mehr oder weniger unbegründet und irrational angesehen. Immerhin hat die Inflation in Deutschland – wie eingangs erwähnt – zuletzt das niedrigste Niveau seit Langem erreicht.

Entsprechend vielfältig sind die Erklärungsversuche, die für diese vermeintlich unbegründeten Befürchtungen herangezogen werden: Bürgerinnen und Bürger würden sich nur zu gut an den explosionsartigen Anstieg der Energie- und Nahrungsmittelpreise im Zuge des russischen Überfalls auf die Ukraine erinnern und befürchten, dass es sich wiederholen könnte. Andere treibe die Sorge um, dass die Inflation zwar im Moment sehr niedrig ist, dass das aber nicht lange so bleiben werde. Deshalb misstrauten die Leute der aktuell niedrigen Inflationsrate, aber auch der Fähigkeit der Europäischen Zentralbank, den Preisanstieg letztlich wirksam und auf Dauer bändigen zu können. Wieder andere betonen den Aspekt der „gefühlten“ Inflation, welche das tatsächliche Problem erheblich überzeichne. Der Göttinger „Angstforscher“ Borwin Bandelow lässt sich in der FAZ vom 11.10.2024 sogar zur Hypothese hinreißen, dass die Inflationsängste ihre Wurzeln tief in der Geschichte hätten. In Urzeiten mit kalten Wintern hätten hierzulande nur diejenigen überlebt, die vorausschauend hätten denken können und sich einen großen Vorrat für den Winter angelegt hätten. „Die Mutigen, die gedacht haben, es wird schon gut gehen, sind einfach verhungert“, sagt der Professor. Das sei eine Art „natürliche Auslese der Ängstlichen“. Demnach sind die Deutschen somit ein durch die Evolution hervorgebrachtes Volk von Angsthasen?

Geehrte Leserin, geehrter Leser, wir wollen an dieser Stelle nicht weiter auf diese teilweise kuriosen Begründungen für die vermeintlich irrationalen Inflationsängste eingehen, da die meisten ohnehin für sich selbst sprechen.  

Rückläufige Inflation bei deutlich höheren Lebenshaltungskosten

Stattdessen möchte ich auf einen bemerkenswerten Aspekt hinweisen, der in dieser Diskussion völlig übersehen bzw. massiv unterschätzt wird: nämlich, dass eine rückläufige Inflation nicht bedeutet, dass die Preise wieder zurückgehen, sondern lediglich, dass sie nicht weiter so stark ansteigen. Nach unserer Wahrnehmung sind es jedoch vor allem die hohen Preise, welche der Bevölkerung Sorgen bereiten. Obwohl die Inflationsraten aktuell also vergleichsweise niedrig ausfallen, ist die Lebenshaltung insgesamt erheblich teurer geworden.

Im September 2020 lag der Verbraucherpreisindex (also die Basis für die Berechnung der Inflationsraten) mit 99,7 bei ziemlich genau 100 Punkten. Im September dieses Jahres liegt der Index mit 119,7 Punkten um ein Fünftel höher.

Die Lebenshaltung in Deutschland hat sich in den letzten vier Jahren also um 20 % verteuert. Oder anders ausgedrückt: Sofern das nicht durch entsprechende Steigerungen in den Löhnen und Gehältern kompensiert wurde, sind die Menschen in Deutschland um 20 % ärmer geworden. Nach unserer Überzeugung ist das ein durchaus berechtigter Grund, sich Sorgen zu machen, und alles andere als irrational.

Aktuelle Preissteigerungsrate strukturell problematisch

Doch selbst wenn man außen vor lässt, dass das Hauptproblem der Bevölkerung die hohen Preise sind , ist auch die aktuell auf den ersten Blick so niedrige Inflationsrate von 1,6 % nicht ganz so positiv, wie die Zahl suggeriert. Sie wird nämlich maßgeblich gedrückt von anhaltend hohen Preisrückgängen bei einigen wenigen Waren. Andere Güter bzw. Dienstleistungen hingegen verzeichnen immer noch deutliche Preissteigerungen; und dabei handelt es sich keineswegs nur um vernachlässigenswerte Randsektoren (siehe nachfolgende Grafik).

Problematischer Dienstleistungssektor

Im September lag die Inflationsrate ohne Energie bei +2,5 % und damit spürbar höher als die Gesamtinflationsrate in Höhe von 1,6 %. Die Teuerungsrate im Dienstleistungssektor (+3,8 %) lag sogar mehr als doppelt so hoch. Warum ist das problematisch? Weil Preissteigerungen im Dienstleistungssektor vor allem von steigenden Löhnen ausgelöst werden. Und deren (spürbarer) Rückgang ist viel unwahrscheinlicher als eine Preisermäßigung bei Öl und Gas. Denn es ist schwer vorstellbar, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf Gehaltssteigerungen verzichten oder gar Kürzungen in Kauf nehmen. Angesichts der Personalengpässe beispielsweise im Gaststätten- und Hotelgewerbe muss eher mit dem Gegenteil gerechnet werden.

Schwache Konjunktur bremst Preisauftrieb

Ein Grund für die zuletzt nur noch moderat steigenden Preise dürfte auch das aktuell fehlende Wirtschaftswachstum in Deutschland sein, zumal nicht nur Investitionen ausbleiben, sondern auch die Verbraucherinnen und Verbraucher sehr zurückhaltend agieren. Preiserhöhungen würden in dieser angespannten Lage zu noch weniger Umsatz führen, was sich viele Unternehmen schlichtweg nicht mehr leisten können.

Die nächsten Monate werden zeigen, ob die Dynamik steigender Dienstleistungspreise nachlässt. Die immer noch (zu) hohen Inflationsraten in diesem Sektor wurden zuletzt durch teils deutlich rückläufige Energiepreise kompensiert. Das wird aber nicht ewig funktionieren. Nur wenn der Preisdruck bei den Dienstleistungen spürbar nachlassen sollte, werden die Notenbanken auch den Spielraum haben, die Zinsen kräftiger nach unten zu schleusen. Den Sieg über die Inflation vorschnell auszurufen, könnte sich am Ende rächen. Nichts würde das Vertrauen in die Notenbanken mehr erschüttern, als wenn diese nach einer Serie von Zinssenkungen wieder zurückrudern müssten, weil die Inflation erneut aus dem Ruder zu laufen droht.

Fazit

  • Die Inflationsrate in Deutschland schwächte sich im September auf 1,6 % ab und unterschritt damit das EZB-Inflationsziel von 2 %.
  • Rückläufige Preissteigerungen bedeuten jedoch keine rückläufigen Preise und auch keine sinkenden Lebenshaltungskosten.
  • Dass Letztere in den vergangenen vier Jahren um 20 % gestiegen sind, dürfte das Hauptproblem der Bürger sein.
  • Ein genauerer Blick auf die Daten offenbart, dass auch das Inflationsproblem selbst noch nicht abschließend gelöst ist.
  • Der Dienstleistungssektor mit seinen zuletzt stark gestiegenen Löhnen bleibt hierbei das Sorgenkind.
  • Die EZB tut gut daran, in Sachen Inflation wachsam zu bleiben. Es wäre fatal, voreilig den Sieg über die Inflation auszurufen.

Lesen Sie mehr zu dem Thema:

Mitte September war es endlich so weit: Die US-amerikanische Notenbank Fed hat erstmals seit Beginn der Corona-Pandemie die Leitzinsen gesenkt. Zuvor waren diese angesichts zwischenzeitlich stark steigender und bis vor Kurzem hartnäckig hoher Inflationsraten immer weiter in die Höhe geschraubt worden. Nicht die Senkung an sich hat viele überrascht, sondern das Ausmaß (0,5 Prozentpunkte). Was steckt dahinter?

Wenn Sie mehr zu diesem Thema erfahren möchten, lesen Sie gern unseren passenden Logbuch-Beitrag: „Kräftige US-Zinssenkung: Erfolg oder schlechtes Vorzeichen?“

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Über den Autor
Prof. Dr. Stefan May

Prof. Dr. Stefan May ist als Leiter Anlagestrategie und Produktentwicklung seit 2014 bei der Quirin Privatbank tätig und hat jahrzehntelange Erfahrung in der Kapitalmarktpraxis. Er ist zudem seit rund 30 Jahren Professor für Finanzmarktanalyse und Portfoliomanagement an der Technischen Hochschule Ingolstadt (mittlerweile emeritiert). Prof. May hatte maßgeblichen Anteil an der Einführung unseres auf wissenschaftlichen Erkenntnissen der Kapitalmarktforschung basierenden Anlagekonzepts. Als Vorsitzender des Anlageausschusses der Bank ist er – gemeinsam mit dem Team der Vermögensverwaltung – nach wie vor für die fortlaufende Gestaltung und Optimierung der Anlagestrategien verantwortlich.

Hören Sie passend zum Thema unseren Podcast „klug anlegen“

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