Nur wenige volkswirtschaftliche Daten haben in den letzten Monaten so gespannte und ungeteilte Aufmerksamkeit erfahren wie diejenigen zur Entwicklung des Preisniveaus – sprich zur Inflation. Und das aus gutem Grund. Hinter den historisch einmalig schnellen und kräftigen Anhebungen der Leitzinsen durch die Notenbanken weltweit steckt der geldpolitische Wille, die nach Beendigung der Corona-Krise außer Kontrolle geratenen Inflationsraten wieder auf Normalmaß zurückzustutzen.
Der kräftige Anstieg der Zinsen in den letzten Monaten lässt sich also direkt auf die hohe Inflationsdynamik und die Reaktion der Zentralbanken darauf zurückführen. Zinsen bzw. deren Höhe bilden die Grundlage vieler Entscheidungen an den Finanzmärkten. Wenn sie steigen, dämpft das nicht nur das Wachstum von Volkswirtschaften, sondern es ändern sich auch die Einschätzungen für Anleihe-, Aktien- und Immobilienmärkte. Damit erklärt sich auch die Aufregung und Nervosität, die die Veröffentlichung neuer Inflationsdaten an den Finanzmärkten regelmäßig – so auch jüngst – hervorrufen: Die Entwicklung der Inflation ist schließlich maßgeblich für das weitere Vorgehen der Notenbanken und damit entscheidend für die weitere Entwicklung in allen Anleihesegmenten.
In der vergangenen Woche wurden vom Statistischen Bundesamt Detailinformationen zur aktuellen deutschen Inflationsrate für den Monat Oktober publiziert. Der Einfachheit halber beschränken wir uns bei allen Daten auf die sog. „nationale Berechnungsweise“ (die auch meist in der heimischen Presse verwendet wird) und lassen den (teilweise leicht davon abweichenden) vom Statistischen Amt der Europäischen Union berechneten „Harmonisierten Verbraucherpreisindex“ (kurz: HVPI) außen vor. Die grundsätzliche Aussagekraft der Inflationszahlen wird dadurch nicht beeinflusst.
In einer ersten Reaktion lösten die aktuellen Teuerungszahlen bei vielen ein Gefühl der Erleichterung aus. Mit Ausnahme des Juni 2023 ist der nun schon sechste Inflationsrückgang in Folge zu verzeichnen, die Inflationsrate ist auf 3,8 % ggü. dem Vorjahresmonat und damit zugleich auf den niedrigsten Stand seit August 2021 gesunken (siehe nachfolgende Grafik). Die Hoffnung: Sollte es in diesem Tempo beim Inflationsrückgang weitergehen, wäre das Thema bald erledigt.
Bei aller berechtigten Erleichterung über den spürbaren Rückgang der Inflationsraten in Deutschland liegt angesichts des Preisniveauziels der EZB in Höhe von 2 % aber noch ein langer Weg vor uns. Schon beim Blick auf ein unter Expertinnen und Experten viel beachtetes Inflationsmaß – die sogenannte „Kerninflation“ – trübt sich das vordergründig positive Bild deutlich ein (siehe nachfolgende Grafik).
Bei der Kerninflation handelt es sich um eine Inflationsrate, die um die besonders schwankungsanfälligen Preise für Energie und Nahrungsmittel bereinigt ist. Mit der Kernrate kann daher die breite unterliegende Inflationsdynamik der gesamten Volkswirtschaft frei von Verzerrungen gemessen werden. Sie ist ein Inflationsmaß, das anzeigt, in welchem Ausmaß sich inflationäre Entwicklungen bereits in der gesamten Volkswirtschaft festgesetzt haben. Deshalb findet ihre Veränderung im Zeitablauf auch bei den Notenbanken starke Beachtung.
Im Oktober lag diese Kerninflation nun den zweiten Monat in Folge über der generellen Inflationsrate (4,3 % vs. 3,8 %). Die Preise für alle Waren und Dienstleistungen (inkl. Nahrung und Energie) stiegen zuletzt also weniger stark als diejenigen ohne diese beiden Bereiche.
Aber warum sollte dieser Umstand nun eine schlechte Nachricht mit Blick auf die zuletzt positive (Gesamt-)Inflationsentwicklung sein? Die Antwort findet sich in der bisherigen Inflationsdynamik. Denn seit dem ersten merklichen Anziehen der Inflation zum Jahreswechsel 2020/21 zeigte sich durchgängig ein diametral entgegengesetztes Bild für die beiden Lesarten der Inflation: Die Gesamtrate war damals (insbesondere aufgrund der explodierenden Energiepreise) teils doppelt so hoch wie die Kerninflationsrate. Die Inflationsspitzen in Höhe von fast 9 % rund um den Jahreswechsel 2022/23 waren also in erster Linie auf die Verteuerung von Energie und (transport- und damit energieintensiven) Lebensmitteln zurückzuführen.
Um diesen Sachverhalt zu veranschaulichen, finden Sie nachfolgend die Preisentwicklung ausschließlich für diese beiden Bereiche. Beachten Sie bitte die ganz andere Skalierung der Grafik – die Skala geht hier anders als in der vorangegangenen Darstellung bis 25 bzw. 40 %! Wahrhaftig eine regelrechte Preisexplosion, die sich da vollzogen hat! Die Kerninflation (also ohne Energie und Lebensmittel) lag hingegen noch bis Jahresanfang 2022 unter 3 %, begann dann aber ebenfalls zu steigen. Ein uneingeschränkt positives (Inflations-)Bild ergäbe sich aktuell dann, wenn die Kerninflationsrate nicht nur fallen würde (was sie aktuell erfreulicherweise ja tut), sondern dies auch im gleichen Ausmaß erfolgen würde wie bei der gesamten Inflationsrate. Das allerdings ist momentan nicht der Fall.
Das bedeutet im Klartext: Die über den Zeitraum von nun schon zwei Jahren deutlich höheren Energie- und Lebensmittelpreise haben dazu geführt, dass auch in anderen Wirtschaftsbereichen die Preise in der Folge gestiegen sind, was ökonomisch vollkommen plausibel ist. Auch der Friseursalon muss heizen, auch die Mitarbeitenden im Supermarkt müssen die höheren Lebensmittelkosten stemmen und erstreiten als (Inflations-)Ausgleich höhere Löhne usw.
Im Ergebnis hat sich die hohe Energie- und Nahrungsmittelinflation also teilweise bereits in den allgemeinen Wirtschaftskreislauf „gefressen“ und ihre Spuren hinterlassen. Der Kampf gegen die Teuerungsrate erweist sich als deutlich langwieriger als ursprünglich angenommen. Gerade ein Blick auf die isolierte Preisentwicklung für den Dienstleistungssektor zeigt das sehr eindrucksvoll (siehe nachfolgende Grafik): zwischenzeitlich mehr als 5 % Inflation nach einem langen, kontinuierlichen Anstieg. Auch die dortigen Rückgänge der letzten beiden Monate in diesem Bereich sind für eine Entwarnung noch zu wenig ausgeprägt.
Fazit
Der zuletzt spürbare Rückgang der Inflation ist grundsätzlich ein überaus positives Signal. Eine endgültige Entwarnung kann allerdings noch nicht gegeben werden. Dafür ist die Kerninflation deutlich zu hartnäckig und nach wie vor deutlich zu hoch. Nicht nur die stark gestiegenen Energie- und Nahrungsmittelpreise der letzten Jahre haben hierzu geführt, sondern auch der altbekannte Fachkräfte- und allgemeine Arbeitskräftemangel. Wenige Bewerberinnen und Bewerber auf viele offene Stellen können schlichtweg höhere Lohnforderungen stellen, als dies noch vor wenigen Jahren möglich war.
Ein ganz ähnliches Bild zeigt übrigens auch die weltgrößte Volkswirtschaft, sprich die USA – trotz der dort ebenfalls ausgeprägten Inflationsrückgänge. Die Finanzmärkte beobachten die Entwicklungen an der Inflationsfront nach wie vor mit Argusaugen und versuchen, daraus Implikationen für die Zinspolitik der Notenbanken für die nächsten Monate abzuleiten. Positive wie negative Überraschungen in Bezug auf diese Erwartungen führen dabei immer wieder – wie auch in dieser Woche – zu kräftigen Auf- bzw. Abwärtsbewegungen an den Aktien- und Anleihemärkten. Bei allem nachvollziehbaren Interesse für alle neuen Nachrichten rund um das Inflationsthema lautet unser Ratschlag: Als strategische Anlegerin bzw. strategischer Anleger sollte man sich von diesen kurzfristigen Ausschlägen nicht aus der Ruhe bringen lassen.
Bleiben Sie Ihrer – gemäß Ihrer individuellen Risikomentalität – gewählten Anlagestrategie treu, denn langfristig werden die hohen Inflationsraten – trotz aller aktuellen Komplikationen – eine Episode an den Finanzmärkten sein, die vorübergeht.
Autor: Prof. Dr. Stefan May, Leiter Anlagestrategie und Produktentwicklung der Quirin Privatbank
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