Aktuelle Konjunkturdaten rücken einmal mehr Chinas wirtschaftliche Schwachstellen in den Vordergrund. Die wirtschaftliche Erholung nach dem Ende der Null-Covid-Politik stockt offenbar. Ende vergangenen Jahres hatte die Regierung in Peking ihre extrem rigide Covid-Linie praktisch über Nacht aufgegeben. Grundsätzlich eröffnete dies erhebliches wirtschaftliches Nachholpotenzial, vor allem von Seiten des für die Wirtschaft wichtigen privaten Konsums – auch wenn die Risiken des gigantischen, moralisch zweifelhaften Gesundheitsexperiments immens waren.
Dass im Zuge der harschen Lockdowns vor allem viele kleine Unternehmen, wie Restaurants oder Läden aller Art, schließen und Beschäftigte entlassen mussten, trifft die Bevölkerung und damit die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt aber nun doch stärker als erwartet. Der private Konsum schwächelt, was sich zum Beispiel in einer starken Jugendarbeitslosigkeit äußert, rund 20 % in Großstädten.
Ein ähnliches Bild zeichnet auch der Blick auf die Inflationsentwicklung in China. Im Gegensatz zum Westen kämpft man hier nicht mit zu hohen Preissteigerungen, sondern mit zu niedrigen. Das liegt allerdings nicht nur an der Konsumzurückhaltung, sondern auch daran, dass die Preise – anders als in vielen westlichen Ländern – nicht durch steigende Energiekosten getrieben werden.
Dämpfende Konjunktursignale senden dabei auch noch andere Indikatoren aus. So sackten die im ersten Quartal noch relativ robusten Exporte zuletzt wegen der insgesamt zurückhaltenden weltwirtschaftlichen Entwicklung ab. Im verarbeitenden Gewerbe mehren sich die negativen Meldungen ebenfalls. Speziell im Bausektor bleibt vieles auf der Strecke. Liegengebliebene Projekte werden zwar endlich fertig gebaut, in der Neuentwicklung passiert aber aktuell fast nichts, wobei China hier im internationalen Vergleich keinesfalls allein ist.
Die meisten Wirtschaftsforschungsinstitute gehen trotz alledem davon aus, dass China in diesem Jahr sein Wachstumsziel von 5 % erreichen wird – wohl auch weil es im Vergleich zur jüngeren Historie relativ zurückhaltend ist. Das durchschnittliche BIP-Wachstum der letzten 10 Jahre lag bei 6,2 %.
Dass es danach aber mit den Wachstumsraten voraussichtlich weiter abwärtsgeht, liegt an einigen strukturellen Problemen, mit denen China zu kämpfen hat.
Diese kritische Gemengelage schürt Befürchtungen, dass China als weltweite Konjunkturlokomotive dauerhaft ausfallen könnte. Speziell vor dem Hintergrund der zunehmend protektionistischen und taiwanfeindlichen Politik Chinas laufen zudem weltweit Bemühungen, die wirtschaftlichen Abhängigkeiten von China zu reduzieren. Manche fordern gar schon eine maximal mögliche Abkehr von China.
So realistisch weitere Wachstumsdämpfer in China auch sind und so richtig die Eindämmung der Abhängigkeit von China – speziell für Deutschland – auch ist, so sollte man an der einen oder anderen Stelle doch auch die berühmte Kirche im Dorf lassen. In diesem Zusammenhang möchten wir auf einige aus unserer Sicht interessante Aspekte aufmerksam machen:
Fazit
Es sieht ganz danach aus, dass China nicht mit der Rasanz der letzten Jahrzehnte zur mächtigsten Wirtschaftsmacht der Welt aufsteigen wird. Der Gegenwind nimmt merklich zu. Trotzdem gehen wir davon aus, dass China auch weiterhin einen wertvollen Beitrag zum Weltwirtschaftswachstum leisten wird. Das bedeutet, dass sich die Zusammenarbeit mit China in vielen wirtschaftlichen Bereichen auch hierzulande fortsetzen wird, sofern eine militärische Eskalation in der Taiwan-Frage ausbleibt. Dass sich die Zusammenarbeit hier und da mit deutlich angezogener Handbremse fortsetzen wird, ist eine folgerichtige Entwicklung aus den Erfahrungen der letzten Jahre. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass China in den letzten Jahren viel zu unserem eigenen Wohlstand beigetragen hat und dies auch weiterhin tun wird.
Autor: Prof. Dr. Stefan May, Leiter Anlagestrategie und Produktentwicklung der Quirin Privatbank
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