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Janine Pentzold (Unternehmenskommunikation): Hallo und herzlich willkommen zu „Best of Mays Logbuch 2024“, zu unserem Jahresrückblick. Wir wollen heute einmal schauen, welche Themen 2024 Anlegerinnen und Anleger am meisten beschäftigt haben, welche Trends sich in dem Jahr entwickelt haben und welches Logbuch in diesem Jahr am besten ankam bei unseren Leserinnen und Lesern. Ja, und wenn wir über „Mays Logbuch“ sprechen, dann darf natürlich einer nicht fehlen. Herzlich willkommen, Stefan. Schön, dass du da bist. Prof. Dr. Stefan May ist unser Leiter Produktentwicklung und Anlagestrategie. Und er ist der Namensgeber, der Ideenlieferant und Autor von „Mays Logbuch“ und damit heute die wichtigste Person.
Prof. Dr. Stefan May: Hallo, Janine.
JP: Alle zwei Wochen werfen wir in „Mays Logbuch“ einen Blick in den Maschinenraum der Bank, aber wir gucken auch auf das weltweite Wirtschaftsgeschehen. Und am Jahresende machen wir immer gemeinsam unseren kleinen Jahresrückblick. Stefan, du gibst dem Jahr dabei immer Titel. Welchen Titel würdest du in diesem Jahr vergeben: „Schlimmer geht immer“ oder „Es kann nur besser werden“?
StM: Also, ich finde, in diesem Jahr passt „Schlimmer geht immer“ eigentlich ganz gut. Es hat sich ja keines der Probleme wirklich gelöst. Wir haben in der Ukraine noch einen Krieg, im Gazastreifen tobt der Krieg seit Oktober 2023. Auf der anderen Seite hat es doch, zumindest in meiner Wahrnehmung, ein bisschen ein versöhnliches Ende gegeben, weil endlich das Gewürge mit der Ampel-Koalition vorbei ist. Von daher würde ich sagen: „Schlimmer geht immer“ ist der passende Name für das Jahr 2024.
JP: Du bist das Mastermind hinter den Portfolios unserer Kunden, du bist maßgeblich mitverantwortlich für die Strategie, die wir da fahren. Was waren denn aus deiner Sicht die bestimmenden Themen in diesem Jahr 2024?
StM: Also, das mit dem Mastermind lassen wir mal dahingestellt, aber was die Themen anbelangt, würde ich sagen: aus Kundensicht nach wie vor eindeutig die Inflation. Das treibt die Leute nach wie vor um, obwohl wir hier natürlich Verbesserungen sehen. Die Inflation ist ja rückläufig, aber das ändert nichts daran, dass die Leute dadurch wirklich ärmer geworden sind, und zwar durch die vorhergehenden doch sehr heftigen Preisschocks. Wir haben das mal ausgerechnet: Es sind ungefähr 20 Prozent im Schnitt der letzten vier Jahre, um die die Leute wirklich ärmer geworden sind, sofern es nicht durch Lohnerhöhungen ausgeglichen wurde. Von daher darf es uns nicht wundern, wenn in Umfragen immer wieder mal rauskommt, dass die hohen Preise in der Wahrnehmung der Menschen das Problem Nummer eins sind.
Nebenbei bemerkt glaube ich auch, dass das einer der Gründe war, warum Donald Trump die Wahlen in den USA gewonnen hat. Denn wenn man das ein bisschen verfolgt hat, war es so, dass die Democrats unter Biden und Kamala Harris immer wieder darauf hingewiesen haben, dass die Inflation ja rückläufig ist, während Trump darauf rekurriert hat, dass sie eben hohe Preise in den USA hatten. Und es ist ihm gelungen, dafür Biden verantwortlich zu machen. Was uns im Anlagemanagement anbelangt, würde ich sagen, war das wichtigste Thema in diesem Jahr natürlich die Weiterentwicklung unseres Anlagekonzepts. Wir haben ja „Markt – Meinung – Wissen“ zu „Markt – Meinung – Zinsen“ weiterverarbeitet. Wir haben im Grunde auf veränderte Rahmenbedingungen reagiert, in denen wir jetzt wieder und vermutlich auch nachhaltig positive Zinsen in allen Laufzeiten haben werden. Das sind so die wichtigsten zwei Aspekte, die in diesem Jahr für uns eine Rolle gespielt haben.
JP: Stefan, du hast es gerade schon gesagt: Es gab einige Herausforderungen dieses Jahr, es gibt immer noch zahlreiche Krisenherde. Auf der anderen Seite haben die Märkte super performt. Wie passt das zusammen?
StM: Das ist ein sehr subtiler Punkt, den du hier ansprichst, Janine. Natürlich ist es schon so, das negative Entwicklungen oder auch Krisen sich letztlich auch auf die Märkte auswirken werden. Nur wissen wir nicht, wann das passiert. Das ist das Problem. Wir müssen uns das am besten so vorstellen, dass es so eine Art Zeitversatz gibt. Die Märkte reagieren mal im Nachhinein – wie weit im Nachhinein, wissen wir nicht –, manchmal nehmen sie die Dinge auch vorweg. Kurzum, das Ganze ist einfach nicht kalkulierbar, und darum geht auch diese Formel nicht auf, die viele Leute offensichtlich im Kopf haben: Wenn es kriselt an den Märkten, dann muss man rausgehen, und wenn sich alles wieder beruhigt, dann gehen wir wieder rein. Wenn das gemacht wird, verliert man regelmäßig Geld. Man kann eben leider nicht sagen, dass, wenn wir krisenhafte Vorgänge haben in den Volkswirtschaften oder auch auf der politischen Seite, die Märkte nicht gut laufen. Das sehen wir übrigens auch in unseren eigenen Portfolios. Ich nenne nur mal zwei Zahlen: Wir haben in unserer 0/100-Strategie, also 100 Prozent Aktien und null Prozent internationale Anleihen, eine Wertentwicklung von 20 Prozent per annum seit Jahresanfang, das ist mehr als doppelt so viel wie die Zahl, mit der wir eigentlich rechnen können. Das ist wieder ein Beleg dafür, dass die Formel „Krisen in der Welt, da müssen die Märkte schlecht laufen“ nicht aufgeht.
JP: Wir schauen ja hier an dieser Stelle auch immer darauf, welche Artikel besonders gut ankamen bei deinen Leserinnen und Lesern. In diesem Jahr sind es zwei, die da ganz, ganz vorne liegen. Alle anderen kamen auch recht gut an, aber die eben noch mal ein Stück weit besser. Das war einerseits „Trump 2.0 – erneut kein Renditekiller?“ und auf Platz zwei „Chinas Immobilienkrise verschärft sich – droht eine neue Finanzkrise?“. Das sind zwei Themen, die zumindest geografisch gesehen ja relativ weit weg sind. Wie erklärst du dir das, Stefan, dass die bei den Leserinnen und Lesern so gut verfangen?
StM: Puh, schwierige Frage. Da könnte man jetzt natürlich lange darüber spekulieren, woran das wohl liegt. Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Ich kann dazu nur sagen: Ich finde das schön, mich freut das, weil es mir irgendwie zeigt, dass wir sehr kluge Leserinnen und Leser haben, die auch über ihren Tellerrand hinausgucken und sich nicht nur dafür interessieren, was vor ihrer eigenen Haustür passiert, sondern auch für breiter angelegte Themen. Das bestärkt mich auch in unserer Publikationsstrategie, um es mal so zu nennen, dass wir eben generell auch Themen aufgreifen, die nicht nur im engeren Sinne etwas mit den Finanzmärkten zu tun haben. Also, insofern freut mich das, dass du das sagst. Ich nehme das zur Kenntnis, aber ich weiß wirklich nicht, woran das liegen könnte.
JP: Großes Kompliment auf jeden Fall an dich und an das Team, das hinter dir steht. Vom Blick in den Rückspiegel schauen wir jetzt noch mal auf aktuelle Themen. 2024 hieß es zuletzt: Trump is back und die Ampel ist aus. Was heißt das, Stefan, aus Anlegersicht, dass Donald Trump zurück ist und dass die rot-grün-gelbe Regierung am Ende ist?
StM: Du kommst heute wirklich mit schwierigen Fragen um die Ecke. Also, lass mich mal so antworten: Für den Anleger oder die Anlegerin beziehungsweise ihre Portfolios, ihre Depots bedeutet es eigentlich relativ wenig. Wir haben ja schon darüber gesprochen, dass es im Grunde nicht prognostizierbar ist, was da kurz- und mittelfristig passiert wegen dem erwähnten Zeitversatz und so weiter. Von daher besteht kein Handlungsbedarf. Was das Ampel-Aus anbelangt, dazu habe ich mich ja schon geäußert. Ich bin ehrlich gesagt froh darum, dass dieses Gewürge vorbei ist. Und was Trump anbelangt, also wenn wir jetzt vier Jahre einen Präsidenten Trump haben: Ich glaube, dass wir da speziell in Deutschland ein bisschen vorsichtiger und ein bisschen zurückhaltender sein sollten und aufpassen müssen, dass wir uns nicht zu sehr in eine Negativspirale, in Katastrophenszenarien reinsteigern. Also, man kann schon den Eindruck gewinnen, wenn man manche Zeitungen aufschlägt, als würde jetzt der Untergang des Abendlandes kurz bevorstehen. Ich glaube, das wird nicht passieren.
JP: Das ist nicht so, ja?
StM: Ich glaube, es ist nicht so, nein. Natürlich ist es schon überraschend und für viele speziell in Deutschland enttäuschend, dass Trump doch sehr deutlich gewonnen hat. Das heißt aber nicht, dass alle Amerikaner verrückt geworden sind. Ich glaube, dass wir speziell in Deutschland die Gründe für dieses Wahlergebnis immer noch nicht richtig verstehen. Ich nehme das so wahr, dass es sehr viel mit der Verfasstheit, mit der Situation, mit dem Zustand der Democrats in den USA zu tun hat. In den Gesprächen, die ich mit Amerikanern führe, selbst mit Leuten, die den Demokraten eher zuneigen, in diesen Gesprächen kommt immer wieder raus, dass die Democrats völlig an Glaubwürdigkeit verloren haben. Und bei aller Kritik, bei allen unglaublichen Vorgängen, bei den Sätzen, die Trump manchmal von sich gibt, glaubwürdig ist der Mann. Die Leute nehmen ihm eine gewisse Authentizität ab, und darum haben sie ihn gewählt. Das ist, glaube ich, einer der Gründe. Ansonsten, denke ich, wird das nicht so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Ich glaube, dass die Administration Trump trotzdem einbremsen wird. Die berühmten Checks and Balances, die funktionieren nach wie vor. Das hat man ja auch daran gesehen, dass er vor zwei oder drei Tagen seinen designierten Justizminister nicht durchbringen konnte, weil auch republikanische Senatoren diesem Gaetz die Zustimmung verweigert haben. Von daher denke ich, es wird nicht so heiß gegessen, wie es gekocht wird.
JP: Vielleicht könnte man an der Stelle mal die Künstliche Intelligenz befragen, was sie denn so prognostiziert. Das ist nämlich unser nächstes Thema. Da hat sich ja im letzten Jahr sehr, sehr viel getan. Und auch wir als Bank, als Unternehmen nutzen Künstliche Intelligenz für unser Beratungstool Q.Ai. Wirst du, Stefan, und wird das Team des Portfoliomanagements damit dann nicht über kurz oder lang überflüssig, wenn die KI vorhersagt, wohin sich die Märkte entwickeln?
StM: Das ist ein guter Punkt. Wenn man sich ein bisschen mit der Künstlichen Intelligenz beschäftigt, vor allem auch mit sogenannten Sprachmodellen, die eben jetzt in Form von ChatGPT auf dem Markt sind, dann stellt man wirklich fest, wie unglaublich leistungsfähig diese Systeme sind. Das ist schon wirklich enorm. Und ich glaube, wir werden Anwendungen sehen, an die wir heute noch überhaupt nicht denken, und auch in Bereichen, an die wir heute noch überhaupt nicht denken. Trotzdem glaube ich, dass wir nicht arbeitslos werden, denn auch eine KI wird diesen alten Traum der Finanzbranche nicht wahrmachen, dass wir die Märkte prognostizieren können, sozusagen vorhersagen, welche Märkte sich in welcher Weise entwickeln werden. Dazu müsste eine KI in die Zukunft blicken können. Was aber KI bei aller Leistungsfähigkeit nur kann, ist: aus einem Datensatz, aus vorhandenen Fakten Schlüsse ziehen. Dabei ist sie zwar so leistungsfähig, dass aus einem umfassenden Überblick über das Weltwissen, das wir im Internet ja haben, neues Wissen generiert wird. Aber nicht Wissen über die Zukunft. Von daher glaube ich, dass wir in dem Punkt beruhigt sein können. Trotzdem bin ich wirklich überzeugt davon, dass KI speziell im Bereich der Finanzen, also in unserer Branche, eine große Rolle spielen wird, aber vorrangig im Bereich der Bildung – der Qualifizierung, der Weiterbildung. Das ist ja auch der Bereich, in dem wir unsere KI, die wir jetzt im Hause entwickelt haben, vorrangig einsetzen. Wir wollen sozusagen zu den Leuten vernünftiges Anlegerwissen hintransportieren.
JP: Heute in vier Wochen, Stefan, ist Weihnachten. Ich persönlich mag diese Zeit sehr. Ich kann es immer gar nicht erwarten, endlich die Dekoration aus dem Schrank zu holen. Wie sieht es denn vier Wochen vor Weihnachten im Hause May aus?
StM: Also ehrlich gesagt, Janine, mir geht zurzeit der ganze Weihnachtsrummel, der jetzt ja anläuft, schon ein bisschen auf die Nerven. Vor allem, wenn man in die Läden geht und bereits im Oktober, manchmal sogar schon im September Weihnachtsdekorationen sieht, und kaum ist Weihnachten rum, werden es Osterhasen sein, mit denen man geflutet wird. Von daher würde es mir völlig reichen, wenn das Ganze Mitte Dezember losgehen würde. Und da meine Frau das ähnlich sieht wie ich, vermutlich sogar noch radikaler, spielt sich bei uns vor Weihnachten gar nichts ab, sondern tatsächlich erst wenige Tage vor Heiligabend.