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Chinas Immobilienkrise verschärft sich – droht eine neue Finanzkrise?

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Der mit rund 300 Mrd. US-Dollar weltweit am höchsten verschuldete Immobilienkonzern stammt aus China und hört auf den klangvollen Namen Evergrande, der ewige Größe verspricht. Das ist aber bereits seit geraumer Zeit Makulatur, denn das Unternehmen ist mittlerweile zum Inbegriff der chinesischen Immobilienkrise geworden, die die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt schon seit längerem belastet.

Zur Erinnerung: Diese Krise hat sich über einige Jahre aufgebaut, die von überhöhten Immobilienpreisen und ausufernder Bautätigkeit geprägt waren, angefacht von Chinas Niedrigzinspolitik. Regierungsversuche, durch Regulierungen, insbesondere zur Eindämmung kreditfinanzierter Immobilienspekulationen, gegenzusteuern, halfen nur zeitweise und brachten am Ende sogar (bereits angeschlagene) Konzerne wie Evergrande komplett ins Wanken. Dass die rigide Covid-Politik die allgemeine Kauf- und Bautätigkeit praktisch zum Erliegen brachte, verschärfte die Lage zusätzlich. 

Preisflaute am chinesischem Wohnimmobilienmarkt

Aktuelle Nachrichten aus dem Hause Evergrande schreckten kürzlich einmal mehr auf. Sie klangen sogar noch dramatischer, als man es an sich schon gewohnt ist. Weil Evergrande nicht in der Lage ist, einen konkreten Restrukturierungsplan für seine Schulden vorzulegen, ordnete ein Hongkonger Gericht nun die Abwicklung der börsennotierten Holding durch eine Insolvenz- bzw. Abwicklungsgesellschaft an. Allerdings bedeutet das nicht von heute auf morgen das endgültige Aus des hochverschuldeten Bauträgers. 

Eine kurze Bestandsaufnahme

Einer kurzfristigen Zerschlagung des Konzerns steht das komplizierte Firmenkonstrukt entgegen. Die operativ tätige Gesellschaft von Evergrande sitzt in China und die Börsengesellschaft auf den Kaimaninseln. Noch ist völlig ungewiss, ob sich der Hongkonger Liquidationsbeschluss auf die chinesische Rechtsebene übertragen lässt, sprich, ob die Gerichte auf dem Festland den Urteilsspruch überhaupt akzeptieren.  

Die Abwicklungsgesellschaft erhält also vorerst keinen Zugriff auf das operative Geschäft, das im Umkehrschluss erst einmal weiterläuft. Aus Evergrande-Kreisen verlautete dazu passend, dass man seine laufenden Wohnungsbauprojekte trotz der Abwicklungsanordnung fertigstellen werde.

Auch wenn damit die Hoffnung verbunden ist, dass Evergrande am Ende seinen Verpflichtungen doch noch nachkommen kann, überwiegen an den weltweiten Kapitalmärkten derzeit die Sorgen.   

Dazu trägt auch der Umstand bei, dass als Insolvenzverwalter das Beratungshaus bestellt wurde, das dieselbe Rolle auch bei der US-Investmentbank Lehman Brothers gespielt hat. Das weckt ungute Assoziationen. An den Märkten kursiert die Frage, ob ein Zusammenbruch von Evergrande ähnliche Wellen schlagen könnte wie einst der von Lehman. Damals wurde ausgehend vom Immobiliensektor eine breit angelegte Finanzkrise losgetreten, die in einer globalen Rezession mündete.

Wie groß ist die Flächenbrandgefahr?

Die Befürchtung einer möglichen Kettenreaktion wird allein dadurch entschärft, dass Evergrande keine Bank ist. Die reine Immobilienbranche ist in aller Regel weit weniger mit der globalen Gesamtwirtschaft verflochten als der Bankensektor. Dazu kommt, dass China zwar ein wichtiger Wachstumsfaktor für die Weltwirtschaft ist, der chinesische Finanzsektor aber doch relativ wenig mit den Weltmärkten verflochten ist.  

Das hat vor allem auch etwas damit zu tun, dass die chinesische Währung (Renminbi) nicht zu den weltweit allgemein akzeptierten Devisen zählt. Gründe dafür sind laufende Kapitalverkehrskontrollen sowie der andauernde Versuch Chinas, den Außenwert des Renminbi zu kontrollieren.

Die Auswirkungen auf das Ausland sollten auch deshalb überschaubar bleiben, weil der Großteil von Evergrandes Schulden bei chinesischen Gläubigern platziert ist. Viele davon sind geprellte Private, die für Wohnungen bezahlt haben, bei denen Evergrande sein Bauverspechen vermutlich nicht einhalten wird. Im schlimmsten Fall werden die Betroffenen diese Wohnungen also nie erhalten, denn es ist unsicherer denn je, ob Evergrande sämtliche zugesicherten und bereits bezahlten Immobilien fertigstellen kann. Internationale Gläubiger versuchen derweil in Hongkong und im Ausland, einen Teil der ausstehenden Beträge einzutreiben.

Sicherlich wäre es naiv zu glauben, dass in den Untiefen der chinesischen Immobilienwirtschaft und der mit ihr eng verbundenen Treuhandfonds (Stichwort: „Schattenbanksektor“) nicht auch diverse europäische und US-amerikanische Finanzfirmen verstrickt sind – insgesamt halten wir die Gefahr einer globalen Kettenreaktion im Finanzsektor dennoch für extrem gering.  

Auch wenn nicht gleich eine Systemkrise droht, stellt sich doch die berechtigte Frage nach den Konsequenzen der aktuellen Entwicklungen für die ohnehin schwächelnde chinesische Wirtschaft, die über viele Jahre hinweg eine Triebfeder für die Weltwirtschaft war.

Verliert Chinas Wirtschaft ihre Antriebskraft?  

Trotz nachlassender Bedeutung wegen der Immobilienkrise steht der entsprechende Sektor immer noch für rund 25 % der chinesischen Wirtschaftsleistung (in der Spitze war es rund ein Drittel). Entsprechend stark behindert die anhaltende Flaute bei der Neuwohnungsnachfrage und der starke Rückgang von Immobilieninvestments die Wirtschaft nach wie vor.

Der direkte volkswirtschaftliche Einfluss des aktuellen Evergrande-Urteils dürfte sich aber vorerst in Grenzen halten, da noch unklar ist, ob das Hongkonger Urteil auf dem chinesischen Festland überhaupt akzeptiert wird. Die im Raum stehende Abwicklung könnte aber das operative Geschäft so stören, dass die ohnehin schon wacklige Bedienung der Verbindlichkeiten zusätzlich behindert wird. Einer Studie der Unternehmensberatung und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte zufolge können Gläubiger im Fall einer Zerschlagung nur mit einer Rückzahlung ihrer Forderungen von maximal drei Prozent rechnen.

Das ist in erster Linie für die Gläubiger katastrophal, hat aber auch einen nicht zu unterschätzenden psychologischen Effekt. Dieser betrifft vor allem ausländische Investorinnen und Investoren. Deren Vertrauen ist aufgrund der Dauerkrise ohnehin schon stark angekratzt und dürfte unter den aktuellen Geschehnissen weiter leiden. Die Investorengemeinde wird den Zwist zwischen Evergrande und seinen Gläubigern und auch den Einfluss, den die Politik hier sicher nehmen wird, genau beäugen.

Zudem hat das Ringen um die Zerschlagung auch eine psychologische Wirkung auf das Vertrauen des chinesischen Privatsektors in die Stabilität des gesamten chinesischen Immobilienmarkts, was die für die Wirtschaft wichtige private Nachfrage weiter am Boden halten wird.

Über Umwege könnten sich also doch noch zusätzliche Dämpfer für die chinesische Wirtschaft ergeben, die neben der Immobilienkrise auch noch weitere Belastungen aushalten muss, zum Beispiel:







China kämpft mit fallenden Preisen






Nachdem China im letzten Jahr mit voraussichtlich 5,2 % das für chinesische Verhältnisse bescheidene, aber angesichts der Umstände einigermaßen respektable Wachstumsziel von 5 % noch erreichen konnte, sieht es für die nächsten Jahre wahrscheinlich schlechter aus. So beurteilt es zumindest das Gros der renommierten Wirtschaftsforschungsinstitute. Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat in seiner jüngsten (Januar-)Schätzung die Wachstumsprognose für das nächste Jahr zwar – aufgrund anhaltender staatlicher Stützungsmaßnahmen – von 4,1 auf 4,6 % angehoben. Für die Zeit danach sieht der IWF aber weitere Wachstumsschwächen.

Die Wachstumslok verliert an Tempo

Klassische Stützungsmaßnahmen wie Steuererleichterungen oder eine lockere Geldpolitik werden die Wachstumssorgen Chinas nicht nachhaltig lindern. Die Regierung ist gefordert, den Hebel bei den strukturellen Problemen umzulegen. Dazu gehören z. B. eine möglichst schonende Schrumpfung des Immobilienmarktes, die Reduzierung von Handelsbeschränkungen und kreative Lösungen für das Demographieproblem.    

Solange hier nicht energischer zugepackt wird, könnte China auch weiterhin mit einer relativen Wirtschaftsschwäche zu kämpfen haben, was fraglos auch die Weltwirtschaft belasten würde.

Die Weltwirtschaft hängt nach wie vor stark von China ab

Aus der Bahn werfen wird diese Schwäche das globale Wachstum aus unserer Sicht allerdings nicht. Ähnlich sieht es auch der IWF, der in seiner aktuellen Projektion für die nächsten 5 Jahre ein stabiles und u. E. solides globales Wachstum von rund 3 % pro Jahr vorsieht.

Grundsätzlich sollten auch die schließlich noch vorhandenen Potenziale der chinesischen Wirtschaft nicht gänzlich aus den Augen verloren werden: Der technische Fortschritt besitzt in China nach wie vor hohes Potenzial. Der enorme Ressourcenreichtum Chinas, die fortschreitende Urbanisierung und die Erweiterung der Mittelschicht bilden ebenfalls noch eine Basis für positive Überraschungen.

Fazit  

Chinas Wirtschaft dürfte an den aktuellen Belastungsfaktoren vorerst zu knabbern haben. Es bestehen unseres Erachtens aber gute Chancen, dass dies die Weltwirtschaft nicht allzu stark beeinträchtigt – auch weil wir nicht davon ausgehen, dass aus der chinesischen Immobilienkrise ein globaler Flächenbrand erwächst.  

Dass man die Resilienz der globalen Wirtschaft dieser Tage nicht unterschätzen sollte, zeigen auch die letzten zwei Jahre. Es sieht ganz danach aus, als wenn in den meisten relevanten Wirtschaftsräumen trotz historisch hoher Inflation und sehr dynamischer Leitzinsanhebungen eine weiche Konjunkturlandung gelingt. Das wäre in diesem Kontext ein Novum in der Wirtschaftsgeschichte. Sofern überraschende erhebliche Schocks von außen ausbleiben, können wir uns gut vorstellen, dass die Weltwirtschaft mit Hilfe des technologischen Fortschritts in den nächsten Jahren auch mehr Wachstum abliefert als die vom IWF projizierten rund 3 % pro Jahr. 

Dementsprechend sollten sich auch die Belastungen der aktuellen Querelen in China für ein global ausdiversifiziertes Aktienportfolio in engen Grenzen halten, zumal der direkte Anteil von chinesischen Aktien mit knapp 3 % relativ gering ist. Die chinesischen Börsenturbulenzen der jüngeren Vergangenheit werden somit voraussichtlich nur wenig Einfluss auf die Wertentwicklung haben.

Autor: Prof. Dr. Stefan May, Leiter Anlagestrategie und Produktentwicklung der Quirin Privatbank

 

Wir leben in einer Welt, in der die Wirtschaft zunehmend vor großen Herausforderungen steht. Die Probleme in China sind da nur eine Facette neben geopolitischen Krisen, gesellschaftlichen Spaltungstendenzen und dem Erfordernis einer wirtschaftlichen Transformation hin zu mehr Nachhaltigkeit. In diesem Zusammenhang fordern nicht wenige eine stärkere Verzichtskultur und ein Abrücken vom dauernden Wachstumsstreben. 

Wenn Sie mehr über dieses Thema und unsere Position dazu erfahren möchten, hören Sie gern in unsere entsprechende Podcast-Ausgabe Nr. 195 rein: „Weniger Fleisch, Flugreisen & PS – kann Verzicht wirklich die Welt retten?“

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