Was versteht man unter einem „Put“ und wie funktioniert er?
Bevor wir auf die Hintergründe genauer eingehen, wollen wir zunächst klären, was denn mit einem wie auch immer gearteten Schutz durch einen „Put“ eigentlich genau gemeint ist. Im Prinzip ist die Sache relativ einfach: Als „Put“ bezeichnet man ein spezielles Finanzinstrument1, mit dem man sich gegen Kursverluste absichern kann. Wenn nun von einem Greenspan-, Draghi- oder Lagarde-Put die Rede ist, dann ist damit gemeint, dass diese Zentralbanker durch ihre geldpolitischen Maßnahmen (über die sie natürlich nicht im Alleingang entscheiden) ganz bewusst versuchen, die Finanzmärkte vor heftigen Kursverlusten bzw. heftigen Verwerfungen zu bewahren. Im Falle Greenspans eben mit Fokus auf den amerikanischen Aktienmarkt, im Falle Draghis und Lagardes auf die europäischen Anleihemärkte.
Sollte der Lagarde-Put im Notfall tatsächlich wirksam werden, würde das die Anleihemärkte der Europäischen Währungsunion zusätzlich interessant machen. Letztlich könnte man dann die im Vergleich zu Bundesanleihen notorisch höheren Renditen von traditionellen Hochzinsländern wie z. B. Italien oder Griechenland (siehe untenstehende Grafik) vereinnahmen, ohne die entsprechenden höheren Risiken (drohender Zahlungsausfall/-verzug) im vollen Umfang tragen zu müssen. Denn die wären dann durch den Lagarde-Put zwar nicht völlig beseitigt, aber doch deutlich verringert. Die Überlegung, die dahintersteckt: Im Notfall wird die EZB durch massive Markteingriffe schon dafür sorgen, dass kein Land der Währungsunion zahlungsunfähig wird. Diese Annahme wurde im Falle Griechenlands im Zuge der Euro-Krise allerdings auf eine harte Bewährungsprobe gestellt.
Bei der Frage, ob es den Lagarde-Put tatsächlich gibt, ist man nicht auf Mutmaßungen angewiesen, sondern sie lässt sich anhand von Daten und ökonomischen Überlegungen sachlich korrekt beantworten. Ausgangspunkt der Argumentation ist der ökonomische Zusammenhang zwischen Ausfallrisiko und Risikoprämie: Je höher die Wahrscheinlichkeit, dass Anlegerinnen und Anleger ihr investiertes Geld nicht (in voller Höhe) zurückerhalten, desto höher sollte die Entschädigung für die Übernahme dieses Riskos ausfallen, sprich: desto höher sollte die Rendite des Investments sein.
Bonitätsbewertungen der Ratingagenturen und Ausfallrisiken
Große internationale Ratingagenturen wie S&P Global Ratings (vormals Standard & Poor’s), Moody’s oder Fitch erstellen in regelmäßigen Abständen für alle großen Anleiheemittenten sogenannte Ratings, die eine Einschätzung ermöglichen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass der Emittent einer Anleihe seinen Zahlungsverpflichtungen ordnungsgemäß nachkommen wird.
Die folgende Grafik der von der Ratingagentur S&P Global Ratings vergebenen Bonitätsnoten macht deutlich, dass die USA – verglichen mit den Ländern der Europäischen Währungsunion – zwar nicht den Spitzenplatz einnehmen, sich aber doch in der Gruppe mit den höchsten Bonitätseinstufungen (und damit den geringsten Ausfallrisiken) befinden. Lediglich die mit AAA (bestmögliche Einstufung) gerateten Länder Deutschland und Niederlande liegen noch vor den USA. Finnland ist – wie die USA – ebenfalls mit AA+ geratet, alle anderen aufgeführten Länder dagegen haben ein schlechteres Rating.
Ein völlig anderes Bild als bei den Bonitätseinstufungen zeigt sich, wenn man die Risikoprämien betrachtet, die am Markt für die entsprechenden Ausfallrisiken bezahlt werden. Diese spiegeln sich u. a. in den Renditen der jeweiligen Länderanleihen wider oder – aus Sicht einer deutschen Anlegerin bzw. eines Anlegers die bessere Darstellung – in den Renditeaufschlägen der jeweiligen Länder gegenüber dem deutschen Renditeniveau. Diese sind nachfolgend für Anleihen mit zehnjähriger Restlaufzeit dargestellt.
Die USA stechen mit Blick auf das Ausmaß der Zusatzrendite gegenüber Bundesanleihen deutlich hervor. Selbst Italien und Griechenland weisen einen geringeren Renditeabstand zu Deutschland auf. Interpretiert man nun diese höheren Renditen als Ausdruck des Marktes für die Höhe der tatsächlichen Ausfallrisiken2, dann hätten die USA demnach ein höheres Ausfallrisiko als alle anderen Länder der Währungsunion, einschließlich Italiens und Griechenlands.
Der direkte Vergleich der USA mit Italien macht die ungewöhnliche Konstellation besonders deutlich. Italien hat mit BBB das zweitschlechteste Rating unter allen Euro-Ländern. Der Renditeaufschlag gegenüber Deutschland beträgt aktuell 1,50 Prozentpunkte. Der entsprechende Aufschlag der USA dagegen liegt bei 1,85 Prozentpunkten, obwohl sie mit AA+ ein deutlich besseres Rating als Italien aufweisen.
Credit Default Swaps bestätigen das ungewöhnliche Bild
Eine ähnliche Konstellation wie bei den Renditeaufschlägen – wenn auch nicht ganz so ausgeprägt – zeigt sich bei den sogenannten Credit Default Swaps (CDS). Deren Preise – die sogenannten CDS-Spreads – sind letztlich nichts anderes als eine Prämie, die man jährlich zahlen muss, um sich gegen den Komplettausfall der Anleihe eines bestimmten Landes zu versichern.3 Die nachfolgende Grafik macht deutlich, dass für die meisten Länder der Europäischen Währungsunion eine geringere CDS-Prämie bezahlt werden muss als für die USA. Lediglich in Italien und Griechenland sind die Prämien fast doppelt so hoch.
Wir haben derzeit somit die bemerkenswerte Situation, in der die USA deutlich höhere Renditeaufschläge gegenüber Bundesanleihen als alle anderen Euro-Länder aufweisen, obwohl sie – von Deutschland und den Niederlanden einmal abgesehen – geringere Ausfallrisiken, sprich ein besseres Rating, vorweisen können.
Die CDS-Spreads wiederum zeigen im Grunde das gleiche Bild, wenn auch nicht ganz so akzentuiert. Hier liegen die USA mit einer jährlichen Ausfallversicherungsprämie in Höhe von 0,38 % am oberen Ende, lediglich Italien und Griechenland weisen mit 0,75 % spürbar höhere Prämien auf.
Abschließend lässt sich daher festhalten: Die im Vergleich zu den USA teils spürbar schlechteren Ratings der meisten Euro-Länder schlagen sich im Gegenzug nicht in Form höherer Renditeaufschläge oder höherer CDS-Spreads nieder.4 Genau das würde aber der ökonomischen Logik entsprechen.
Irrationale Märke oder wirkt der Lagarde-Put?
Im Grunde gibt es nur zwei Erklärungen für den deutlich gewordenen Widerspruch: Entweder agieren die Marktteilnehmerinnen und -teilnehmer irrational oder aber die CDS-Spreads und Renditedifferenzen reflektieren ein Phänomen, das bei den Ratingeinstufungen keine Berücksichtigung findet.
Was die regelmäßigen Leserinnen und Leser unseres Logbuches vermutlich nicht allzu sehr überraschen wird: Wir neigen zur letztgenannten Erklärung. Offenbar geht der Markt mit voller Überzeugung davon aus, dass von Seiten der EZB (aber auch der Regierungen einzelner Länder Europas) alles Notwendige unternommen wird, um den möglichen Zahlungsausfall eines einzelnen Euro-Landes unter allen Umständen zu verhindern. Dies umso mehr vor dem Hintergrund des Überfalls Russlands auf die Ukraine, der die Einigkeit und den Zusammenhalt Europas noch viel notwendiger macht.
Die trotz ihrer schlechteren Ratings geringeren Renditeaufschläge und CDS-Spreads vieler Euro-Länder sind daher nicht die Folge irrationalen Verhaltens, sondern letztlich eine Konsequenz des Phänomens „Lagarde-Put“, das sowohl die CDS-Spreads als auch die Renditedifferenzen zu Deutschland geringer hält, als es an sich angebracht wäre. Und nicht zu vergessen: Der „Greenspan-“ und der „Draghi-Put“ („whatever it takes“) haben ihre Wirksamkeit in der Vergangenheit bereits erfolgreich unter Beweis gestellt – das stärkt das Vertrauen in den „Lagarde-Put“.