Die aktuelle Zinssenkung – die mit gleich 0,5 Prozentpunkten überraschend kräftig ausfiel – sollte von daher eigentlich zu großer Erleichterung führen, denn es gibt angesichts spürbar rückläufiger Inflationsraten endlich wieder Spielraum für niedrigere Zinsen. Durch günstigere Kredite werden Unternehmen sowie Verbraucherinnen und Verbraucher nun ermutigt, mehr Geld auszugeben und zu investieren, was das Wirtschaftswachstum stimulieren kann.
Inflation erfolgreich bekämpft und Zinsen gesenkt – Mission beendet?
Wie so oft im (Wirtschafts-)Leben ist es nicht ganz so einfach. Statt in Jubel auszubrechen, haben ganz im Gegenteil nicht wenige Marktbeobachterinnen und -beobachter im Anschluss an die Fed-Entscheidung ein Menetekel an die Wand gemalt: Wenn die US-Notenbank gleich einen derart großen Zinsschritt beschließt, heißt das dann nicht im Umkehrschluss, dass die Konjunktur der größten Volkswirtschaft der Welt kurz vor einer Rezession1 steht? Dass sie einen Anschub durch (deutlich) niedrigere Zinsen und damit niedrigere Finanzierungskosten für Unternehmen und günstigere Kredite für Privathaushalte dringend benötigt? Dass die starken und im Rekordtempo vollzogenen Zinserhöhungen der letzten Monate des Guten zu viel waren? Bestätigt also die jüngste Zinsentscheidung die ohnehin kursierenden US-Rezessionsbefürchtungen?
Erstaunlich robuste US-Konjunktur
Bevor wir uns der Frage zuwenden, ob nun tatsächlich eine Rezession in den USA vor der Tür steht, gilt es zunächst einmal festzuhalten, wie überaus erstaunlich es ist, dass sie nicht schon längst da ist. Der Zinsanhebungszyklus der Fed als Reaktion auf die stark ansteigende Inflation der Corona-Zeit war so schnell und heftig wie noch nie in der Wirtschaftsgeschichte. Nach allen historischen Erfahrungen hätte die hierdurch erzeugte konjunkturelle Bremsung besonders schmerzhaft sein müssen – und eine Rezession letztlich keine Überraschung.
Seit vielen Quartalen ist das nun wider Erwarten nicht der Fall. Zum Jahresanfang 2024 wurde bereits ein Rezessionsszenario an die Wand gemalt – und daher insgesamt sechs Zinssenkungsschritte der US-Notenbank im Jahresverlauf erwartet. Wie wir aktuell wissen, kam es ganz anders: Die erste Zinssenkung kam erst jetzt Mitte September und die US-Wirtschaft ist im zweiten Quartal aufs Gesamtjahr hochgerechnet um 3 % gewachsen.
Erste Ermüdungserscheinungen
Zuletzt mehrten sich allerdings die Schwächesignale. Die Arbeitslosenzahlen sind wieder über die 4 %-Marke gestiegen (wobei das längst noch kein besorgniserregendes Niveau ist) und der Zuwachs bei den Beschäftigten verlangsamte sich entsprechend. Konjunkturelle Frühindikatoren wie der viel beachtete Einkaufsmanagerindex (eine Befragung von Unternehmen zu deren Konjunkturerwartungen) haben sich zuletzt ebenfalls eher abgeschwächt, wobei sich immerhin der Wert für den in den USA so wichtigen Dienstleistungssektor (steht für rund 75 % des gesamten BIP) zuletzt wieder stabilisiert und die Wachstumssignal-Marke von 50 Indexpunkten überschritten hat. Zudem hat sich die vom US-Wirtschaftsforschungsinstitut Conference Board erhobene Konsumentenstimmung im September so stark verschlechtert wie seit gut 3 Jahren nicht mehr. Gleichzeitig gibt es aber auch gegenläufige Entwicklungen: Am Arbeitsmarkt sind die Erstanträge auf Arbeitslosenhilfe seit dem Sommer wieder rückläufig und auch die Lohnentwicklung bleibt robust – beides Signale der Stärke.
Notenbanker sorgen sich mehr um die Konjunktur als um Inflationsgefahren
Insgesamt gibt es also durchaus Signale, die dafür sprechen, dass die US-Notenbank Fed den beherzten Zinsschritt aus Sorge um die zukünftige Konjunktur vorgenommen hat. Untermauert wird dies beim Blick in das jüngste Sitzungsprotokoll, das offenbart, dass einige Notenbanker sogar noch 2 bis 3 weitere Zinsschritte in diesem Jahr (und noch weitere in 2025) erwarten.
Auf der anderen Seite sind einige wichtige Konjunkturdaten – und zwar nicht nur auf der zeitlich nachlaufenden Schiene wie z. B. dem Arbeitsmarkt, sondern auch bei den Frühindikatoren – noch immer recht robust. Von Niveaus, die konjunkturelle Schrumpfung signalisieren, sind sie noch einiges entfernt.
Nach der Erfahrung in vergangenen Zinszyklen sind die US-Geldpolitiker bemüht, den Leitzins nicht so lange oben zu halten, bis die Konjunktur tatsächlich einbricht. Für einen solchen Einbruch gibt es zwar weiterhin keine klaren Anzeichen, aber die Arbeitsmarktdaten zeigen mittlerweile schon eine gewisse Abkühlung. Der Fokus der Fed scheint aktuell nicht mehr auf der Inflationsrate, sondern auf der indifferenten Konjunkturlage zu liegen. Ein zusätzlicher Unsicherheitsfaktor kommt zudem ins Spiel: die US-Präsidentschaftswahl am 5. November.
Die Aktienmärkte nehmen die Rezessionssorgen übrigens gelassen … sie setzen ihre Rekordjagd unvermindert fort. Die Anlegerinnen und Anleger rechnen offenkundig mit einer weichen Landung der US-Konjunktur und setzen vielmehr auf eine weiterhin expansive Geldpolitik, was Aktien (und Renten) begünstigen sollte. Wobei man durchaus unterstellen kann, dass die Aktienmärkte mittlerweile schon viel von der Zinssenkungsfantasie vorweggenommen haben.
Für eine langfristig ausgerichtete Anlagestrategie ergibt sich aus der aktuellen Konjunktur-Diskussion kein Handlungsbedarf. Selbst wenn es zu einem Wirtschaftsabschwung in den USA kommen sollte, ist die Börsenreaktion keineswegs glasklar. Treffsichere Anlageentscheidungen lassen sich also daraus nicht ableiten. Zudem würde die Wirtschaft über kurz oder lang ohnehin zum Wachstum zurückkehren. Der Treibstoff für die Aktienmärkte wird also nicht ausgehen.