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Inflationsschock überwunden: Wie sich die Zinslandschaft verändert

Prof. Dr. Stefan May
,
Leiter Anlagestrategie und Produktentwicklung
6
Minuten

Die globale Zinslandschaft der jüngeren Vergangenheit war von zwei außerordentlichen Entwicklungen geprägt: von einer fast zehn Jahre andauernden Niedrig- bzw. Nullzinsphase sowie einem weltweiten Inflationsschock.

Beide Entwicklungen scheinen mittlerweile an ihr Ende gekommen zu sein. Dies ist für uns ein Anlass, sie anhand aussagekräftiger Charts einmal etwas genauer zu beleuchten und dabei zugleich auszuloten, wie sich die Zinslandschaft vor allem in Europa in den vor uns liegenden Jahren vermutlich darstellen wird.

Das Wichtigste in Kürze:

• Nachdem die Notenbanken im Zuge von hoher Inflation markante Zinserhöhungen vorgenommen haben, sind die Nullzinszeiten Geschichte.

• Die Inflationsraten sind allerdings mittlerweile weltweit eindeutig auf dem Rückzug, was den Notenbanken Spielraum für Leitzinssenkungen eröffnet – die EZB vollzog hier jüngst einen ersten Schritt.

• Anleiheinvestments haben insgesamt deutlich an Attraktivität gewonnen. Aufgrund nicht vorhandener Währungsrisiken ergeben sich insbesondere innerhalb der Euro-Zone besondere Chancen.

Was war?

Die folgende Grafik illustriert die Zinsgeschichte Europas in nur einem Bild. Es wird vor allem die Angleichung der Renditen in den Jahren 2001 bis 2008 deutlich, die durch die Einführung des Euros im Jahr 2000 eingeleitet wurde. Sichtbar ist aber auch ihr jähes Ende aufgrund der Eurokrise der Jahre 2010 bis ca. 2013, in deren Verlauf die gemeinsame europäische Währung fast auseinandergebrochen wäre und die Renditen vor allem in den europäischen Südländern, allen voran in Griechenland, auf schwindelerregende Höhen angestiegen sind.  

Die Grafik zeigt am rechten Rand zudem auch den Zinsanstieg, der durch den bereits erwähnten weltweiten und angebotsinduzierten Inflationsschock verursacht wurde. Dieser Inflationsschock, der die Preissteigerungen weltweit auf seit Jahrzehnten nicht mehr gesehene Niveaus getrieben hat, wurde vor allem durch Corona und daraus resultierende Lieferkettenengpässe sowie durch eine Rohstoffverknappung aufgrund des russischen Überfalls auf die Ukraine ausgelöst.

Die in obenstehender Grafik dargestellten, weltweit ansteigenden Inflationsraten riefen wiederum die internationalen Zentralbanken auf den Plan. Diese hoben im Rahmen einer beispiellosen und international konzertierten Zinserhöhungsrunde ihre Leitzinsen an, um vor allem die Inflationserwartungen an den Märkten einzudämmen.

Die Inflationsentwicklung seit Mitte des Jahres 2022 macht aber auch deutlich, dass die Maßnahmen der Zentralbanken bis dato erfolgreich waren: Die Inflationsraten sind seit 2022 weltweit wieder auf dem Rückzug, obwohl sich vor allem die sogenannten Kernraten1 als hartnäckiger erweisen als erhofft.

Die Leitzinserhöhungen haben aber nicht nur die kurzfristen Zinsen nach oben geschleust, sondern auch auf das sogenannte lange Ende der Zinsstrukturen durchgeschlagen, sprich, es sind dadurch auch die Renditen der Zinsanlagen mit längeren Laufzeiten angestiegen.

Was wird vermutlich sein?  

Aktuell haben wir es international noch mit der ungewöhnlichen Konstellation sogenannter inverser Zinsstrukturen zu tun, d. h., die Zinsen bzw. Renditen kurzer Restlaufzeiten sind höher als die der langen.

Diese Inversionen dürften sich jedoch im Zuge der erwarteten weiteren Zinssenkungen durch die Zentralbanken wieder normalisieren. Die US-Notenbanker selbst gehen in diesem Jahr von noch einer weiteren Zinssenkung aus, der dann im neuen Jahr weitere folgen sollen. Die EZB hält sich mit solchen Prognosen traditionell stärker zurück. An den Märkten wird aber auch hier zumindest noch eine weitere Zinssenkung in 2024 erwartet.

International sind wir in einer Situation angekommen, in der es in allen Laufzeiten wieder nennenswerte Renditenchancen2 gibt. Aller Voraussicht nach wird das auf absehbare Zeit auch so bleiben. Die Zeit der Nullzinsen dürfte erst einmal vorbei sein.

Innerhalb der Länder der gemeinsamen europäischen Währung zeigt sich ein etwas differenzierteres Bild. Auch für Europa insgesamt gilt, dass die Phase der Null- bzw. Niedrigstzinsen Vergangenheit sein dürfte. Allerdings halten wir eine Rückkehr zu einer weitgehenden europäischen Zinsangleichung, wie in den Jahren 2001 bis 2008, für eher unwahrscheinlich. Vermutlich wird uns innerhalb des Euro-Währungsraumes eine gewisse Zinsspreizung erhalten bleiben, wie sie in folgender Grafik beispielhaft für Deutschland und Italien aktuell dargestellt ist.

Fazit  

Ohne nun womöglich sogar das Timing irgendwelcher Zinsbewegungen prognostizieren zu wollen, gehen wir für die nächsten Jahre wieder von nennenswert positiven internationalen Renditechancen und damit zugleich auch von attraktiven Anleihemärkten aus.

Da es hier kein Währungsrisiko gibt, gilt das besonders für das Segment europäischer Euro-Staats- und Unternehmensanleihen.

Die aktuelle Inflations- und Zinssituation war vor kurzem auch Thema im Podcast unseres Vorstandsvorsitzenden Karl Matthäus Schmidt. In der Folge 209 „FED oder EZB – welche Notenbank senkt als Erstes die Zinsen?“  erfahren Sie nicht nur, wie er die Lage interpretiert, sondern auch einige grundlegende wirtschaftliche Zusammenhänge zwischen, Inflation, Zins und Wirtschaft.

1 Als Kernrate bezeichnet man eine Inflationsrate, die ohne Berücksichtigung von Energie- und Lebensmittelpreisentwicklungen errechnet wird. Sie wird von den Zentralbanken als Indikator verwendet, der anzeigt, wie stark sich inflationäre Tendenzen bereits in einer Volkswirtschaft festgesetzt haben.
2 Lediglich Japan und die Schweiz stellen gewisse Ausnahmen dar. Dort liegen selbst die Renditen für Anleihen mit zehnjähriger Restlaufzeit noch unter einem Prozent: in Japan aktuell bei 0,95 % und in der Schweiz bei 0,67 % p. a.

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Über den Autor
Prof. Dr. Stefan May

Prof. Dr. Stefan May ist als Leiter Anlagestrategie und Produktentwicklung seit 2014 bei der Quirin Privatbank tätig und hat jahrzehntelange Erfahrung in der Kapitalmarktpraxis. Er ist zudem seit rund 30 Jahren Professor für Finanzmarktanalyse und Portfoliomanagement an der Technischen Hochschule Ingolstadt (mittlerweile emeritiert). Prof. May hatte maßgeblichen Anteil an der Einführung unseres auf wissenschaftlichen Erkenntnissen der Kapitalmarktforschung basierenden Anlagekonzepts. Als Vorsitzender des Anlageausschusses der Bank ist er – gemeinsam mit dem Team der Vermögensverwaltung – nach wie vor für die fortlaufende Gestaltung und Optimierung der Anlagestrategien verantwortlich.

Hören Sie passend zum Thema unseren Podcast „klug anlegen“

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