In den letzten Wochen ist wieder einmal die Inflationsentwicklung ins mediale Rampenlicht gerückt. Das ist eigentlich nichts Besonderes, denn regelmäßig füllen Sorgenbekundungen immer dann die Nachrichten, wenn die Inflationsraten – so wie aktuell – einmal etwas spürbarer den Vorwärtsgang einlegen. (Warum die meist fehlende Berichterstattung über Inflation in vermeintlich „ruhigeren“ Zeiten das eigentliche Risiko für Anleger darstellt, erfahren Sie im letzten Abschnitt dieses Beitrags.) Mit ebensolcher Regelmäßigkeit wird bei diesen Gelegenheiten dann auch gerne vor enormen Auswirkungen auf die Anleihe- und/oder Aktienmärkte gewarnt. Wer aufmerksam die Finanznachrichten verfolgt, nimmt wahr, dass auch dies derzeit wieder – im wahrsten Sinne des Wortes – inflationär der Fall ist. Höchste Zeit also, einen besonnenen ökonomischen Blick auf die jüngsten Entwicklungen zu werfen.
Inflation auf dem aufsteigenden Ast
Und diese sehen auf den ersten Blick durchaus markant aus. In Deutschland etwa stieg die international vergleichbare (harmonisierte) Inflationsrate von noch durchgängig negativen Werten von August bis Dezember 2020 im Januar auf 1,6 % an. Dieses Niveau dürfte sich in den anstehenden Februarzahlen bestätigen.
In Gesamteuropa zogen die Preise im Januar im Vorjahresvergleich um 1,2 % an, nach mehreren Monaten mit Inflationsraten um die Nulllinie (die aktuelle Inflationsrate der reinen Euro-Zone liegt bei 0,9 %). Auch in den USA liegt die Inflationsrate inzwischen bei 1,4 %, nach kräftigen Abtauchern im letzten Jahr. Angesichts dieser doch recht überschaubaren Werte fragt man sich allerdings schon, wo denn die ganze Inflationsaufregung eigentlich herkommt. In Europa und in den USA steht schließlich selbst ein Wert von 2 % noch für Preisniveaustabilität, also eine zwar rechnerische Inflation, die aber von vielen Notenbanken mit unveränderten allgemeinen Verbraucherpreisen gleichgesetzt wird. Auch im historischen Kontext wird deutlich: Nach wie vor sind die Inflationsraten – nachfolgend im Durchschnitt Europas abgebildet – eher zu niedrig als zu hoch.
Kurz zum Hintergrund der aktuellen Preissteigerungen: Im Vergleich zum Vorjahr sind einige Rohstoffpreise, z. B. für Kupfer und Öl, markant angestiegen. Darüber hinaus sind auch einige andere Güter des täglichen Bedarfs (insbesondere Nahrungsmittel) deutlich teurer geworden. Das sind einerseits die Folgen einer einsetzenden wirtschaftlichen Belebung auf der Nachfrageseite. Andererseits entsteht derzeit aber auch von der Angebotsseite her etwas Inflationsdruck. Die globalen Lieferketten laufen noch alles andere als rund. Das zeigt sich z. B. an der Halbleiter-Knappheit für die Automobilproduktion oder an den stark gestiegenen Frachtraten für Containertransporte aus China.
Nun aber zurück zur medialen Aufregung rund um die Inflationsentwicklung: Dahinter verbirgt sich im Prinzip die Entwicklung anderer Prozentsätze. Es geht um die Renditen von Staatsanleihen diesseits, vor allem aber jenseits des Atlantiks. Ein Blick beispielsweise auf die Rendite zehnjähriger US-Staatsanleihen – dem meistzitierten Ankerwert für Staatsanleiherenditen – zeigt, wie kräftig dort der jüngste Anstieg gewesen ist. Auch hier gilt aber: kräftig erst einmal nicht vom Niveau her, denn insgesamt sind die Renditen hier nach wie vor noch sehr niedrig. Die relative Veränderung vollzog sich allerdings sehr abrupt und ausgeprägt, was dann von vielen Marktbeobachtern als Reflex zunehmender Inflationsängste gedeutet wurde.
Das Zusammenspiel von Inflation und Anleiherenditen
Aber wodurch entsteht eigentlich der Zusammenhang zwischen Inflation und Anleiherenditen? Vergegenwärtigen wir uns hierzu zunächst, dass Anleihe-Anleger ja einen festen Kupon-Zins erhalten (nicht mit der abgebildeten Rendite zu verwechseln, dazu gleich mehr). Dieser Zins wird in der Regel jährlich vom Anleihe-Schuldner (in unserem Fall: USA bzw. Deutschland) über die ganze Laufzeit hinweg (hier: 10 Jahre) konstant an den Anleger ausbezahlt. Wie hoch letztlich die tatsächliche Rendite über diesen Zeitraum ist, hängt von vielen Faktoren ab, insbesondere aber vom Kurs, zu dem die Anleihe gekauft wird. Je höher hier der Einstiegskurs ist, desto geringer die Rendite, da Anleihen grundsätzlich am Ende der Laufzeit zum Kurs von 100 % zurückgezahlt werden.
Kleines Beispiel: Eine heute erworbene Anleihe mit einem Kupon-Zins von 2 % p. a., einer Restlaufzeit von genau 5 Jahren, einem aktuellen Kurs von 103 % und einem jährlichen Zinstermin am 15.07. besitzt eine Rendite von 1,375 % p. a. Würde man sie heute für einen höheren Kurs von 105 % erwerben, ergäbe sich nur noch eine Rendite von 0,97 % p. a. Je höher der Kurs einer Anleihe also steigt (je mehr sie also nachgefragt wird), desto niedriger wird die Rendite und umgekehrt. Neben der Renditeentwicklung beäugen potenzielle Anleger im Anleihesektor auch insbesondere den Verlauf der Inflation. Denn erst nach Abzug der jährlichen Geldentwertung lässt sich sagen, was die eben erläuterte nominale Rendite (also ohne Berücksichtigung der Inflation) tatsächlich (real, also nach Berücksichtigung der Geldentwertung) für einen Vermögenszuwachs über die Laufzeit bietet. Eine steigende Inflation lässt Anleiheinvestments also tendenziell unattraktiver erscheinen.
Und damit haben wir einen Grund identifiziert, warum die Anleiherenditen in den letzten Wochen relativ stark und zügig noch oben gelaufen sind. Im Zuge der steigenden Inflationsraten haben (vor allem spekulative bzw. kurzfristig orientierte) Anleger Anleihen verkauft. In der Folge sanken die Kurse und im Gegenzug stiegen die Renditen (wegen des gerade erläuterten Zusammenhangs).
Genau genommen liegt diese Entwicklung aber nicht nur in den bis dato ja nicht eklatant gestiegenen De-facto-Inflationsraten begründet, sondern vor allem in den Inflationserwartungen, was auch zu einem vielzitierten Börsen-Bonmot passt: „An der Börse wird die (erwartete) Zukunft gehandelt.“ Diese Erwartungen lassen sich sogar messen, z. B. anhand von Auswertungen sogenannter Inflations-Swapgeschäfte. Die folgende Grafik verdeutlicht, dass sowohl in den USA als auch in Europa bzw. der Euro-Zone von den Marktteilnehmern tatsächlich weiter spürbar steigende Inflationsraten erwartet werden (Erwartung für die nächsten 5 Jahre; aktuelle Inflation USA: 1,4 %, Euro-Zone: 0,9 %). Dies liegt vor allem an der Erwartung einer nachhaltigen Konjunkturerholung nach erfolgreich bekämpfter Corona-Pandemie – nicht zuletzt angefacht durch das jüngste 1,9 Billionen US-Dollar schwere Konjunkturpaket in den USA.
Ähnlich wie bei den aktuellen Inflationsraten gilt es aber auch hier, die berühmte Kirche im Dorf zu lassen. „Spürbare“ Steigerung bedeutet keinesfalls „über alle Maßen“. Gerade im historischen Kontext wird deutlich, dass das aktuelle Erwartungslevel keinesfalls bedenklich ist. Von galoppierender Inflation oder ähnlich übertriebenen Szenarien sind wir meilenweit entfernt.
Inflation schürt Sorgen vor Kapitalmarktkorrekturen
Wie eingangs bereits erwähnt, wird im Zusammenhang mit Inflationsanstiegen nicht nur gerne das Gespenst deutlich fallender Anleihekurse an die Wand gemalt. Es werden auch Ängste vor möglichen stärkeren Aktienmarktkorrekturen geschürt. Hintergrund: Mit den fallenden Anleihekursen und vice versa steigenden Renditen erhalten Aktien zunehmende Konkurrenz von der Anleiheseite, die ja die letzten Jahre von einem extremen Niedrigzinsniveau geprägt ist. Und was einige Marktteilnehmer noch viel stärker umtreibt: Steigen die Anleiherenditen, hat das auch Einfluss auf die künftige Bezahlbarkeit der weltweiten Schuldenlast – die höhere Rendite von heute wird zum Gradmesser der Refinanzierungszinsen von morgen. Insbesondere der US-Anleihenmarkt bestimmt nicht nur die Refinanzierungskosten des amerikanischen Staates und Privatsektors, sondern – aufgrund seiner globalen Leitfunktion – direkt und indirekt die globalen Refinanzierungskosten. (Stark) steigende Anleiherenditen führen heutzutage auch oft zu Sorgen über die Finanzstabilität von Unternehmen und somit über die Stabilität des Aktienmarktes.
Inflation und Anleiherenditen - wohin geht die Reise?
Vor dem Hintergrund der aktuell zunehmenden Sorgen, vor allem im Hinblick auf die künftige Aktienmarktentwicklung, ergeben sich aus diesen Betrachtungen zwei essentielle Fragestellungen:
1. Aus unserer Sicht spricht vieles dafür, dass wir es mehr mit einer zu erwartenden Normalisierung der Inflationsraten (und übrigens auch der Anleiherenditen) zu tun haben als mit dem Beginn einer sich verselbständigenden Inflationsspirale.
An dieser Stelle möchten wir gerne betonen, dass man die aktuell anziehende Inflation auch mit Fug und Recht positiv bewerten kann – ist sie doch auch ein Ausdruck der Regeneration der gebeutelten Wirtschaft. Umgekehrt wäre es viel schlimmer. In einer Welt, in der die Preise flächendeckend fallen, müssten wir uns aktuell deutlich mehr Sorgen machen.
2. Auch unabhängig von der Inflationsentwicklung spricht derzeit wenig für deutlich steigende Anleiherenditen, die dem Aktienmarkt das Leben schwermachen würden.
Wenn man wirklich ehrlich ist, weiß letztlich niemand mit Sicherheit, wie sich die Inflation und Anleiherenditen künftig entwickeln. Nur im Rückspiegel, in den wir allerdings naturgemäß erst in ein paar Monaten werden blicken können, lässt sich definitiv sagen, ob die derzeitigen Inflationsbefürchtungen berechtigt waren. Im Hier und Jetzt – beim Blick durch die unklare Windschutzscheibe gewissermaßen – ist es daher aus unserer Sicht viel wichtiger, ein Anlegerportfolio so aufzustellen, dass es sowohl gegen eine höhere als auch gegen eine weiter niedrige Inflationsrate gewappnet ist – und im Übrigen auch möglichst gut gegen weiter steigende Anleiherenditen. Der Schlüssel liegt in einer umfassenden und prognosebefreiten Diversifikation der Aktien- und Anleiheinvestments.
Das eigentliche Problem liegt ganz woanders
Wie eingangs angedeutet, gibt es jenseits aller Inflationspanik dennoch einen Aspekt, der Anlegern Sorgen bereiten sollte. In der herkömmlichen Berichterstattung über eine vermeintlich ausufernde Inflation wird suggeriert, dass man als Anleger erst dann ein Problem hat, wenn sich die Inflation im Steigflug befindet. Dies ist aber ein Trugschluss. Denn schon bei moderaten Inflationsraten, wie in den letzten 10 Jahren in Deutschland, sieht sich speziell der Zinssparer (Spareinlagen, Tagesgelder & Co.) mit einem jährlichen realen Vermögensverlust konfrontiert. Das eigentliche Problem ist hierbei nicht die Teuerung an sich, sondern die Tatsache, dass die (nominalen) Sparzinsen nicht zuletzt aufgrund der lockeren Geldpolitik mittlerweile konsistent unterhalb der Inflationsrate liegen. Dies führt zu einem negativen Realzins und somit zu einem permanenten Kaufkraftverlust. Wer beispielsweise 2010 100.000 Euro aufs Sparbuch gelegt hat, kann sich heute nur noch Güter und Dienstleistungen im Wert von rund 92.600 Euro kaufen, da der reale Vermögenswert um ca. 7,4 % abgenommen hat. 7.400 Euro – das ist eine tolle Reise oder ein neues Heimkino. Und das Perfide daran: Dieser Vorgang, der auch als finanzielle Repression bezeichnet wird, geschieht schleichend und bleibt oft vom Sparer unbemerkt.
Quelle Inflation:
Leider werden diese Zusammenhänge nach unserer Überzeugung auch in der Fachpresse zu selten erwähnt, wodurch die eigentliche Problematik verschleiert wird. Mit spitzer Feder immer wieder darauf hinzuweisen, wäre viel wichtiger, als Hiobsbotschaften über herbeigeredete Inflationskatastrophen zu verbreiten.
Autor: Prof. Dr. Stefan May, Leiter Anlagemanagement der Quirin Privatbank, und sein Team
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