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Zinsstrukturinversion in den USA – Zinswende erneut verschoben

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Für uns, aber vermutlich auch für Sie, geehrte Leserin, geehrter Leser, war Montag, der 28. März dieses Jahres, vermutlich ein völlig normales Datum. Nicht jedoch für die meisten US-amerikanischen Finanzanalysten. Denn an diesem Tag geschah etwas für diese Gruppe überaus Bemerkenswertes – ausgelöst durch einen Renditeanstieg amerikanischer Staatsanleihen mit einer Restlaufzeit von zwei Jahren auf 2,63 %. Die Differenz zwischen der Rendite einer 30-jährigen Staatsanleihe und ebenjener zweijährigen – der sogenannte „term spread“ – rutschte erstmals seit 2006 auf einen negativen Wert ab: Die Fristigkeitsstruktur der Zinssätze (oder kurz: die Zinsstrukturkurve) „invertierte“ – wie es im Fachjargon heißt.

Warum ist das wichtig?

Zinsstrukturkurven – wie in der nachfolgenden Abbildung für die USA und Deutschland dargestellt – stellen die Renditen für Staatsanleihen in Abhängigkeit von ihrer (Rest-)Laufzeit dar. Die Fristen reichen dabei von unter einem Jahr bis zu 30 Jahren.  

Zinsstrukturkurven in Deutschland und den USA

Jeder einzelne Punkt auf der Kurve entspricht dabei der Rendite, die durch Angebot und Nachfrage bei der entsprechenden Restlaufzeit zustandekommt. Hierbei spielt aber auch die Attraktivität der anderen Fristigkeiten aus Sicht der Marktteilnehmer eine Rolle. In einer Zinsstrukturkurve verdichten sich daher sämtliche Informationen, die für den Kauf oder Verkauf festverzinslicher Wertpapiere unterschiedlicher Laufzeiten als relevant erachtet werden. Da die Fälligkeit der Papiere durch ihre (Rest-)Laufzeit grundsätzlich in der Zukunft liegt, basieren die in den Renditen zum Ausdruck kommenden Einschätzungen zwangsläufig immer auch auf Erwartungen hinsichtlich zukünftiger Entwicklungen. Dies können Einschätzungen sein, die sich ganz konkret auf die Höhe zukünftiger Zinsen beziehen, aber auch auf die Zukunft des gesamten ökonomischen Umfeldes.

In einem Satz: Eine konkrete Zinsstrukturkurve repräsentiert die Menge aller Erwartungen und aller Einschätzungen der am Markt agierenden Wirtschaftssubjekte. Für keinen anderen Finanzmarkt gibt es ein vergleichbares Instrument.

Invertiert nun eine solche Zinsstrukturkurve – wie am US-Zinsmarkt am 28. März geschehen –, dann bedeutet dies zunächst, dass die Renditen von Kurzläufern im Vergleich zu denen von Langläufern angestiegen sind und sie letztlich sogar übersteigen. Dies lässt sich als ein Signal deuten, dass sich die Zukunftseinschätzungen der Marktteilnehmer hinsichtlich der weiteren Zinsentwicklung verändert haben. Konkret, dass man entweder bei längeren Laufzeiten fallende Zinsen erwartet oder aber zumindest keine weiter steigenden. Diese veränderten Zinserwartungen gehen dabei oft Hand in Hand mit einer vermuteten Eintrübung der kurz- bis mittelfristigen Wirtschaftsaussichten bis hin zur Erwartung einer Rezession. Denn in einem solchen Umfeld kann es kaum zu steigenden Zinsen kommen, zumeist fallen die Zinsen bei einer Abschwächung der wirtschaftlichen Aktivität.

Tatsächlich gibt es keinen anderen einzelnen Indikator, der in der Vergangenheit ein fallendes Zinsniveau sowie einen bevorstehenden wirtschaftlichen Abschwung treffsicherer angezeigt hat als die Differenz aus Renditen zehnjähriger Anleihen abzüglich der von zweijährigen. Für die USA beispielsweise gilt, dass – von einer einzigen Ausnahme abgesehen – seit 1956 jede Rezession ca. ein Jahr vorher von einer Zinskurveninversion angekündigt wurde. Dies wird auch anhand der beiden folgenden Grafiken deutlich, welche die historischen Entwicklungen der Renditen mit zweijähriger sowie zehnjähriger Laufzeit zeigt, sowohl für die USA als auch für Deutschland. Immer wenn die blaue Linie die grüne berührt oder gar übersteigt, haben wir es mit einer flachen oder gar inversen Zinsstruktur zu tun. Speziell in den USA wird am aktuellen Rand das Zusammenlaufen der beiden Renditekurven sehr deutlich, was in den letzten Tagen zur besagten Inversion geführt hat. 

Langfristige Renditeentwicklungen in Deutschland und den USA

Besonders beeindruckend ist das Inversionssignal hinsichtlich des weiteren Renditeverlaufs. Sowohl in den USA als auch in Deutschland sind nach jeder Zinskurveninversion die Renditen anschließend ausnahmslos gefallen.  

Was bedeutet das in der aktuellen Situation?

Die Wirtschaft in Europa, aber auch in den USA und weltweit befindet sich derzeit tatsächlich in einem sehr herausfordernden Spannungsfeld. Einerseits gibt es nach wie vor die Aussicht auf eine Überwindung der coronabedingten Krise und einen entsprechend fulminanten Wachstumsschub, der vor allem von kräftigen Nachholeffekten getrieben wird.

Andererseits aber stockt das Ganze aufgrund teils noch unsicherer Corona-Aussichten – vor allem in China! –, gestörter internationaler Lieferketten sowie massiver Rohstoffpreissteigerungen, die zuletzt auch noch durch den Krieg in der Ukraine zusätzlich angetrieben wurden. All dies hat die Wachstumsaussichten erheblich eingetrübt und gleichzeitig zu stark inflationären Tendenzen geführt – eine eher selten auftretende Kombination. So ist in Deutschland und auch in der gesamten Euro-Zone die Inflationsrate zuletzt auf über 7 % angestiegen, in den USA sogar auf knapp 8 %.

Der also durchaus besonderen gesamtwirtschaftlichen Gemengelage entsprechend sind die Einschätzungen, was die weitere wirtschaftliche Entwicklung anbelangt, derzeit ausgesprochen unterschiedlich. Optimisten gehen davon aus, dass sich die Wirtschaft trotz aller Krisen wieder kräftig erholen wird und sich auch die zuletzt sprunghaft angestiegenen Inflationsraten durch eine Normalisierung von Angebots- und Nachfragebedingungen wieder einfangen lassen.

Pessimisten dagegen befürchten, dass sich der Preisauftrieb fortsetzen und uns über Jahre hinweg begleiten wird. Je nachdem, ob gleichzeitig das Wachstum wieder in Tritt kommt, gehen sie entweder von einem inflationären Wachstum oder aber von einer Stagflation, d. h. von einer anhaltenden gesamtwirtschaftlichen Stagnation trotz hoher Inflationsraten, aus.

Noch bis vor kurzem konnten die Wachstumsoptimisten auf die USA verweisen. Dort betrug die BIP-Wachstumsrate im Gesamtjahr 2021 fast 6 % und war im zweiten Quartal 2021 mit rund 12 % sogar zweistellig.[1] Diese Zahlen sind umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass es sich bei den USA um eine Volkswirtschaft mit einem BIP-Volumen von rund 21 Billionen USD handelt, was fast über das Fünffache des deutschen BIP ausmacht. Außerdem relativiert sich so auch der Inflationsdruck: Bei zuletzt derartig kräftigem Wachstum sind hohe Preissteigerungsraten durchaus auch zu erwarten –und wurden durch die schon erwähnten Energie- und Rohstoffpreisanstiege nochmals verstärkt.

Dieser Optimismus in Bezug auf das Wirtschaftswachstum hat nun durch die US-Zinskurveninversion und den damit möglicherweise einhergehenden Stimmungsumschwung einen kräftigen Dämpfer bekommen. Nach wie vor sind die USA die mit Abstand größte Volkswirtschaft, und wenn sich dort eine Rezession einstellen sollte, wird weder Europa noch speziell Deutschland und auch nicht der Rest der Welt davon unbehelligt bleiben. Zwar ist eine weltweite Rezession nach wie vor keineswegs ausgemacht, aber das Pendel hat durch die aktuellen Vorgänge am US-Zinsmarkt doch deutlich in Richtung Wachstumspessimismus ausgeschlagen.

Nicht unberücksichtigt sollte bei der Einschätzung derzeit aber die besondere Rolle der Geldpolitik bleiben, über die wir hier bisher noch gar nicht gesprochen haben. Denn in den letzten Wochen sind die maßgeblichen Zentralbanken der Welt – allen voran die US-Notenbank Fed – sehr schnell und sehr entschieden von ihrem bisherigen Expansionskurs abgerückt oder haben erklärt, das sehr bald zu tun. Vor allem die Fed hat bereits gehandelt und erste Erhöhungen der kurzfristigen Zinsen vorgenommen. Ihr Anleiheankaufprogramm, das vor allem drückend auf die langfristigen Zinsen wirkt, wird allerdings erst in den nächsten Monaten zurückgefahren. Auch hierin könnte aktuell die Ursache für die invertierte Zinsstruktur liegen – kurzfristige Zinsen wurden durch die Notenbank erhöht, noch nicht jedoch der senkende Einfluss auf die langfristigen Zinsen aufgegeben. Möglicherweise kommt durch die Inversion also aktuell doch keine konkrete Rezessionsgefahr zum Ausdruck, sondern eine Verzerrung aufgrund geldpolitischer Entscheidungen.

Zinsstrukturinversion in den USA – Zinswende erneut verschoben!

Was heißt das für die Anlegerinnen und Anleger?

Für Anlegerinnen und Anleger bedeuten die skizzierten Zusammenhänge in erster Linie, dass die von manchen im letzten Jahr noch vermutete Zinswende wohl fürs Erste auf Eis gelegt ist. In der Hinsicht ist diese Botschaft historisch gesehen noch eindeutiger als die Rezessionsprognose, die oft mit der inversen Zinsstruktur verbunden wird. Wie bereits erwähnt: In keinem einzigen Fall sind nach einer Zinskurveninversion die Zinsen angestiegen. Stattdessen sind sie immer gefallen oder zumindest gleichgeblieben. Niedrigst- oder gar Nullzinsen werden uns also wohl auch in den nächsten Jahren erhalten bleiben. Dies übrigens selbst dann, wenn vom aktuellen Niveau ausgehend zunächst noch leichte Anstiege erfolgen sollten, was angesichts der vorerst noch hohen Inflation wahrscheinlich ist.

Das sind schlechte Nachrichten für alle Festgeld-Investoren: Der negative Realzins (Nominalzins abzüglich Inflation) wird auch künftig mit Sicherheit Teile der Kaufkraft ihres Vermögens „auffressen“. Lassen Sie uns, um das zu verdeutlichen, eine Inflationsrate von 4 % für die nächsten fünf Jahre unterstellen, was ja von manchen durchaus als realistisch angesehen wird. Ein Vermögen, welches heute 100.000 Euro beträgt (und heute auch dieselbe Kaufkraft hat), wird in fünf Jahren nur noch eine Kaufkraft von 82.193 Euro haben, also rund 18 % weniger. Übertragen auf eine Aktienanlage würde dies einem Aktienmarkteinbruch um 18 % entsprechen, von dem sich die Märkte auch nach fünf Jahren nicht wieder erholt haben. Dies wäre ein äußerst seltener und unwahrscheinlicher Vorgang.

Der 18%ige Kaufkraftverlust im Falle der Inflation ist also einem gleich großen, auch nach fünf Jahren noch vorliegenden Aktienmarkteinbruch gegenüberzustellen. Der entscheidende Unterschied allerdings ist, dass die Kaufkraft bei Inflation mit Sicherheit verlorengeht, wohingegen solche Verluste am Aktienmarkt zwar möglich, aber unwahrscheinlich sind.

Die eigentliche Botschaft der in diesem Beitrag skizzierten Zinskurveninversion richtet sich daher an alle Festgeld-Anlegerinnen und -Anleger: Spätestens jetzt sollten Sie sich Gedanken über eine kurzfristig zwar riskantere, letztlich aber rentablere Aktienanlage machen.

Autor: Prof. Dr. Stefan May, Leiter Anlagemanagement der Quirin Privatbank

 

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[1] https://tradingeconomics.com/united-states/gdp-growth-annual

Disclaimer/rechtliche Hinweise

Der Beitrag ist mit größter Sorgfalt bearbeitet worden. Er enthält jedoch lediglich unverbindliche Analysen und Erläuterungen. Die Angaben beruhen auf Quellen, die wir für zuverlässig halten, für deren Richtigkeit, Vollständigkeit und Aktualität wir aber keine Gewähr übernehmen können. Die Informationen wurden einzig zu Informations- und Marketingzwecken zur Verwendung durch den Empfänger erstellt und können keine individuelle anlage- und anlegergerechte Beratung ersetzen.

Die Informationen stellen keine Anlage- Rechts- oder Steuerberatung, keine Anlageempfehlung und keine Aufforderung zum Erwerb oder zur Veräußerung dar. Die Vervielfältigung und Weiterverbreitung ist nicht erlaubt. Kein Teil darf (auch nicht auszugsweise) ohne unsere ausdrückliche vorherige schriftliche Genehmigung nachgedruckt oder in ein Informationssystem übertragen oder auf irgendeine Weise gespeichert werden, und zwar weder elektronisch, mechanisch, per Fotokopie noch auf andere Weise.

[1] https://tradingeconomics.com/united-states/gdp-growth-annual

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