Es gibt Lebensweisheiten, die mag ich nicht sonderlich gerne. „Geduld ist eine Tugend!“ ist eine davon. Sie hat für mich ein Stück weit eine passive Implikation, klingt nach untätig sein, nach abwarten. Und das entspricht so gar nicht meinem Naturell. Wer mich kennt, der weiß, dass ich immer aktiv bin, was bewegen möchte, und selten untätig herumsitze. Doch diese Woche gab es einen spannenden Artikel in der CAPITAL zum Thema Geduld bei der Geldanlage, aus dem ich gerne ein paar Aspekte aufgreifen und mit Ihnen teilen möchte.
Grundsätzlich gibt es geduldige und ungeduldige Menschen, und – Achtung, Achtung – beides ist hausgemacht. Entsprechende Untersuchungen haben gezeigt: Geduldige(re) Eltern haben in der Regel auch geduldige(re) Kinder. Geduld ist ein erlerntes Verhalten, der Persönlichkeitsanteil spielt hier eine recht geringe Rolle. Spannend dazu sind auch verschiedene Experimente mit Kindern, zum Beispiel der Marshmallow-Test von Walter Mischel.
Belohnungsaufschub bei Kindern
Er untersuchte die Impulskontrolle und den Belohnungsaufschub bei vierjährigen Kindern. Den Kindern wurde gesagt, dass sie ein Marshmallow bekommen würden, wenn sie eine Glocke läuten und den Versuchsleiter so zurück in den Raum rufen. Wenn sie jedoch warten, bis der Versuchsleiter von allein zurückkehrt, würden sie zwei Marshmallows erhalten. Der Zeitraum betrug etwa 15 Minuten. Im Ergebnis zeigte sich, dass die Kinder in der Regel etwa sechs bis zehn Minuten warteten, bevor sie die Glocke läuteten. Die Kinder, die besser warten konnten, waren laut Untersuchung später im Leben erfolgreicher.
Auch wenn die Ergebnisse später zum Teil widerlegt wurden, sind Expertinnen und Experten sich darüber einig, dass es einen Zusammenhang gibt: Wer schon als Kind lernt, Belohnungen aufzuschieben und sich in Geduld zu üben (nicht immer und ständig, aber eben immer mal wieder), hat es im Leben leichter. Er oder sie kann sich besser konzentrieren, hat bessere Schulnoten, erzielt höhere Werte bei Intelligenztests, hat eine höhere Stresstoleranz, kann besser mit Frustrationen umgehen und ist selbstbewusster.[1] Somit komme ich als mehrfacher Vater um das Thema Geduld nicht herum, denn das sind triftige Gründe, um meinen großen und kleinen Kindern hier mit gutem Beispiel voranzugehen.
Doch was bedeutet Geduld eigentlich?
Geduld hat viele Namen: Selbstkontrolle, Ausdauer, Frustrationstoleranz, Durchhaltevermögen, Gelassenheit, Belohnungsaufschub. Aus ökonomischer Sicht ist sie ein hochgradig spannendes Phänomen, wird aber kurioserweise in keiner VWL-Vorlesung auch nur mit einem einzigen Wort erwähnt. Sie beschreibt das Abwägen zwischen heute und morgen, zwischen dem Verzicht im heute, um morgen mehr zu haben. Sie beschreibt die Fähigkeit, unter Stress und Zeitdruck abwarten zu können, eigene Bedürfnisse zurückzustellen, aber sich weiterhin auf ein Ziel fokussieren zu können. Also beispielsweise nach der Schule darauf zu verzichten, mit einer Ausbildung gleich das erste eigene Geld zu verdienen, zugunsten eines Studiums, bei dem ich weitere fünf Jahre kein Einkommen habe, aber die Hoffnung, später durch die Akademiker-Laufbahn ein deutlich besseres Einkommen zu erzielen. Auch wenn es heutzutage vermutlich keine schlechte Idee ist, eine Ausbildung beispielsweise im Handwerk zu machen und sich perspektivisch später selbstständig zu machen. Ich selbst bin mehrfacher Gründer und ein großer Fan beruflicher Selbstständigkeit, dafür muss man nicht zwingend Akademiker sein, Geduld braucht man – neben vielen anderen Fähigkeiten – aber ohne Frage des Öfteren.
Geduld ist also die Fähigkeit, im Hier und Jetzt etwas auszuhalten, weil ich weiß, dass ich in Zukunft davon profitiere. Geduld ist also eine ganz bewusste Entscheidung unter erschwerten Bedingungen und keinesfalls Lethargie oder ein kohlsches Aussitzen, wie es oft assoziiert wird.
Geduld bei der Geldanlage
Besonders spannend ist Geduld bei der Geldanlage. Grundsätzlich haben Anlegerinnen und Anleger die Hoffnung, dass mehr aus ihrem Geld wird, wenn sie es anlegen. Die Geduld gerät aber immer dann recht schnell in Bedrängnis, wenn es an den Märkten ruckelt. Denn Geduld fällt uns unter Druck, bei Stress oder in Krisen, besonders schwer. Ruhig zu bleiben und sich in Gelassenheit zu üben, wenn die eigenen Aktien an Wert verlieren, weil es an den Märkten turbulent zugeht, ist nicht leicht, für Laien wie für Profis. Der Impuls, noch schnell alles zu verkaufen, ehe es noch schlimmer kommt, ist groß. Wir denken dann gerne, dass wir auf rationaler Basis entscheiden, dabei handeln wir in solchen Situationen hochgradig emotional. Und Emotionen sind bei der Geldanlage kein guter Ratgeber, im Gegenteil, sie mindern nachweislich den Anlagererfolg, denn meist verpassen die Anlegenden nach dem Ausstieg aus den Märkten den rechtzeitigen Wiedereinstieg. Besser ist es, eine einmal eingeschlagene Anlagestrategie durch alle Krisen hinweg durchzuhalten, wie die nachfolgende Grafik zeigt. So wurden aus 100 Euro, die 1971 in den MSCI World Index investiert wurden, allen Krisen zum Trotz bis heute knapp 3.900 Euro.
Den Wunsch, zu reagieren, haben derzeit sicher auch viele Anlegerinnen und Anleger, immerhin sind alle großen Indizes seit Jahresbeginn kräftig im Minus. So hat beispielsweise der MSCI World Index seit Januar etwa 22 Prozent Verluste eingefahren. Und auch viele Fondsmanager leben davon, aktiv zu sein, da fällt Geduldhaben und das Aussitzen von Börsenturbulenzen doppelt schwer. Und doch gilt: Wer nicht gleich dem ersten Impuls – alles zu verkaufen – nachgibt, trifft die besseren Anlage-Entscheidungen.
Geduldsprobe: Jede Krise geht vorbei
Doch warum lohnt es sich, geduldig zu sein? Weil Anlegerinnen und Anleger langfristig besser fahren, wenn sie breit gestreut im Markt investiert bleiben, statt immer wieder ein- und auszusteigen. Das Problem – das zeigen Studien immer wieder – ist nicht der Ausstieg, sondern der Wiedereinstieg. Der gelingt den meisten Privatanlegerinnen und -anlegern nicht, denn immer sprechen irgendwelche Argumente dagegen. Und letztlich geht jede Krise vorbei – egal, wie lange oder wie heftig sie ausgefallen ist. Das zeigt auch eine Grafik aus der o. g. CAPITAL. So brach der S&P 500 seit 1877 zwölfmal um mindestens 25 Prozent ein, die Höhe des Crashs und die Dauer der Erholung variierten dabei sehr stark (siehe Grafik unten). Aber – und das ist der springende Punkt – früher oder später erholten sich die Märkte immer wieder. Das ist in einer funktionierenden Wirtschaftsordnung eine feststehende Gesetzmäßigkeit, die unumstößlich ist – und die Sie sich, liebe Leserinnen und Leser, gerne vor Augen halten dürfen, wenn es – wie aktuell – wieder einmal besonders ungemütlich an den Märkten wird.
Wie gelingt mehr Geduld?
So weit, so gut. Doch wie werde ich geduldiger, insbesondere mit Blick auf Finanzthemen, wie schaffe ich es als Anleger bzw. Anlegerin, mehr Durchhaltevermögen an den Tag zu legen und schwierige Marktphasen auszusitzen? Einer der wichtigsten Tipps aus der CAPITAL, den auch wir unseren Kundinnen und Kunden regelmäßig ans Herz legen, ist es, nicht so oft hinzusehen. Denn je häufiger man sein Depot checkt, desto öfter juckt es in den Fingern, etwas zu tun. Schauen Sie lieber in größeren Abständen drauf. So vermeiden Sie, wegen kurzfristiger Verluste, die wir alle hassen, zu schnell die Reißleine zu ziehen. Zudem kann es sehr sinnvoll sein, bei der Geldanlage neben der inhaltlichen Streuung auch zeitlich zu diversifizieren. Sprich: größere Anlagebeträge scheibchenweise anzulegen oder monatlich zu sparen. Das hilft, Anlageentscheidungen von aktuellen Ereignissen zu entkoppeln.
Hilfreich kann es zudem sein, so die CAPITAL, sich verschiedene Szenarien auszumalen. Ein Versuch mit Kindern in der Türkei zeigt das eindrücklich. Die Kinder hatten einen Schulweg von 40 Minuten, es fuhren keine öffentlichen Verkehrsmittel. Wenn sie ein halbes Jahr ihr Taschengeld sparten, konnten sie sich ein eigenes Fahrrad kaufen und hatten dann nur noch einen Weg von zehn Minuten. Sich beide Szenarien vorzustellen – mit und ohne Fahrrad – hat ihnen nachweislich geholfen, sich in Geduld zu üben, im Hier und Jetzt auf etwas zu verzichten, um in Zukunft mehr zu haben – in dem Fall Freizeit. Das lässt sich auch auf die Geldanlage übertragen. Zudem hilft es, sich Situationen aus der Vergangenheit vor Augen zu führen, in denen sich Geduld schon einmal ausgezahlt hat.
Fazit für Anlegerinnen und Anleger
Aus Anlegersicht ist Geduld tatsächlich eine Tugend, oder sagen wir: ein guter Freund, vielleicht sogar der beste, den man haben kann. Zumindest dann, wenn man als Anlegerin bzw. Anleger gut aufgestellt ist im Sinne eines weltweit diversifizierten Portfolios mit entsprechendem Anlagehorizont. Denn Durchhaltevermögen zahlt sich auch bei der Geldanlage aus, das haben wir an dieser Stelle schon oft und intensiv ausgeführt. Wer nicht gleich dem ersten Impuls bei einem Börsencrash – nämlich alles zu verkaufen, um Verluste zu vermeiden – folgt, ist langfristig erfolgreicher. Und damit lautet das Geheimrezept bei bereits bestehenden Geldanlagen in turbulenten Marktphasen schlichtweg: Nichts tun!
Geduld ist dabei nicht nur die Fähigkeit, warten zu können, sondern beim Warten auch noch gut gelaunt zu bleiben. Das ist eine echte Herausforderung, insbesondere in stressigen Situationen, wie fallenden Börsen. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, nicht nur einen reißfesten Geduldsfaden, sondern dabei auch noch gute Laune. Beides werden wir noch eine ganze Weile gut gebrauchen können.
Autor: Karl Matthäus Schmidt, Vorstandsvorsitzender der Quirin Privatbank und Gründer von quirion
Sie haben noch Fragen zu Ihrer aktuellen Vermögenssituation? Sie sind unzufrieden mit Ihren derzeitigen Geldanlagen? Dann vereinbaren Sie gerne einen Termin an einem unserer 15 Standorte und kommen Sie auf eine Tasse Kaffee oder Tee vorbei. Dann schauen wir gemeinsam, wie wir zur Verbesserung Ihrer finanziellen Situation beitragen können – kostenlos und unverbindlich. Wir freuen uns auf Sie.
[1] https://nlp-zentrum-berlin.de/infothek/nlp-psychologie-blog/item/marshmallow-test
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