Bereits seit längerer Zeit versuchen die Länder des sogenannten globalen Südens, vor allem aus Afrika und Südamerika, sich vom Westen unabhängiger zu machen, der im Wesentlichen repräsentiert wird durch die G7-Staaten USA, Kanada, Japan, Deutschland, UK, Frankreich und Italien. Diese Bestrebungen haben mit dem Ausbruch des Russland-Ukraine-Krieges deutlich an Fahrt aufgenommen. Die konsequente und fast einmütige Unterstützung der Ukraine, die entsprechende Isolation Russlands sowie der unerwartete Schulterschluss der westlichen Länder haben nicht wenige Länder Afrikas und Südamerikas, aber auch einige asiatische Länder sehr nachdenklich werden lassen. Wenn es so leicht ist, Russland als den immerhin weltgrößten Rohstoffexporteur vom internationalen Zahlungsverkehrssystem SWIFT (Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication) und damit vom Dollar abzuschneiden, wer gibt diesen Ländern dann die Sicherheit, dass dasselbe morgen nicht auch ihnen passiert; zumal es sich dabei nicht immer um lupenreine Demokratien handelt.
Insgesamt gibt es zunehmend die Befürchtung, dass „der Westen“ – allen voran die USA – die Dollarabhängigkeit der einzelnen Länder als Waffe einsetzt, um der ganzen Welt die westlichen weltanschaulichen und gesellschaftspolitischen Vorstellungen aufzuzwingen. In diesem Zusammenhang wird sogar bereits von der „Weaponization“ der amerikanischen Währung gesprochen, der man unbedingt entgegentreten müsse.
Dies ist der geopolitische Hintergrund der jüngsten Ankündigung der sogenannten BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika), eine eigene Währung zu etablieren, die als alternative Reservewährung fungieren und über die in zunehmendem Umfang auch der internationale Handel abgewickelt werden soll. Zudem soll sie auch – so die bisherigen Verlautbarungen – eine Golddeckung aufweisen. Dies macht sie vor allem für diejenigen attraktiv, die dem „Fiat Money“-Konzept[1], das derzeit allen modernen Währungen zugrunde liegt, ohnehin skeptisch gegenüberstehen.
Vergleicht man nun die Wirtschaftsleistungen der BRICS-Staaten und der USA sowie der anderen großen Industrieländer, dann ist die Vorstellung einer eigenen Währung, zumindest was die Größenordnung anbelangt, durchaus nachvollziehbar, da die BRICS-Staaten in etwa den gleichen Anteil am Welt-Bruttoinlandsprodukt (Welt-BIP) haben wie die USA (vgl. nachfolgende Grafik).
Neben der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gibt es jedoch noch eine ganze Reihe anderer Faktoren, von denen der mögliche Erfolg einer Währungskonkurrenz abhängen wird. Da bis dato keine entsprechenden Detailinformationen vorliegen, ist es nach unserer Überzeugung für eine tiefergehende Einschätzung aber noch zu früh, zumal vom 22. bis 24. August dieses Jahres in Südafrika eine Konferenz stattfinden wird, zu der die BRICS-Staaten eingeladen haben und bei der sie ihre Idee vermutlich konkretisieren werden.
Eine Reihe von Staaten aus Afrika, Südamerika, aber auch aus Asien haben bereits großes Interesse an dem Projekt bekundet und werden voraussichtlich auch an der Konferenz teilnehmen. Angeblich hat sich auch der französische Präsident Emmanuel Macron bereits um eine Einladung bemüht, worauf ihn der russische Präsident Wladimir Putin als „trojanisches Pferd“ des Westens bezeichnet haben soll.
Die mögliche Konferenzteilnahme Frankreichs hat prompt Spekulationen ins Kraut schießen lassen, dass sich Frankreich unter Umständen sogar der geplanten BRICS-Währung anschließen könnte. Dies ist nach unserer Einschätzung nicht ganz abwegig, da Frankreich ja auch innerhalb Europas das Land ist, welches sich am meisten darum bemüht, eine gewisse Distanz zu den Positionen der USA zu wahren.
Wie bereits erwähnt, sind wir der Meinung, dass noch zu wenig konkrete Informationen vorliegen, um die Erfolgsaussichten einer BRICS-Währung wirklich einschätzen zu können. Trotzdem aber gibt es eine Reihe strategischer Faktoren, die in jedem Fall relevant sind, unabhängig davon, was bei der Konferenz in Südafrika konkret beschlossen und verkündet wird.
Heterogenität der Teilnehmer
Begriffe wie „BRICS“ oder „globaler Süden“ suggerieren eine Gemeinsamkeit und Einheitlichkeit, die tatsächlich nicht vorliegt. Betrachtet man die entsprechenden Staaten etwas genauer, stellt man fest, dass sie sowohl gesellschaftspolitisch als auch rein ökonomisch sehr unterschiedlich sind. Eine weitgehende Übereinstimmung besteht lediglich hinsichtlich des „Feindbildes“ USA (oder „des Westens“), deren Dollar-Dominanz man unbedingt brechen müsse. Ansonsten ist es mit den Gemeinsamkeiten nicht allzu weit her. Russland führt derzeit einen Angriffskrieg gegen die Ukraine, was vielen potenziellen Währungsteilnehmerländern nicht gefallen dürfte, auch wenn sie sich deshalb vom Westen nicht zu einer eindeutigen Positionierung gegen Russland zwingen lassen wollen. China und Indien wiederum – die zwei wirtschaftsstärksten BRICS-Staaten – stehen in der Kaschmir-Region sogar immer wieder kurz vor militärischen Zusammenstößen; Einheitlichkeit und Interessengleichklang sieht anders aus.
Aufgabe der eigenen Währung?
Ohne die Details der geplanten Währung zu kennen, glauben wir ausschließen zu können, dass die Teilnehmerländer ihre eigenen lokalen Währungen aufgeben werden, wie dies z. B. beim Euro der Fall war. Die neue Währung wird vermutlich eher den sogenannten SDR („Special Drawing Rights“, zu Deutsch: Sonderziehungsrechte)[2] des Internationalen Währungsfonds (IWF) gleichen. Dabei handelt es sich um eine künstliche Währung, deren Wert sich als das mit der jeweiligen Wirtschaftsleistung gewichtete Mittel der fünf Währungen US-Dollar, Euro, Yen, Pfund Sterling und Renminbi ergibt. Insofern ist das Ganze durchaus mit dem Vorläufer des Euros vergleichbar, dem sogenannten ECU („European Currency Unit“), der analog konstruiert war und den man im Jahr 1999 zugunsten des Euro aufgegeben hat. Eine ähnliche Weiterentwicklung einer möglichen Korbwährung hin zu einer „echten“ Gemeinschaftswährung des globalen Südens halten wir jedoch aufgrund der erwähnten Heterogenität der Teilnehmerländer für höchst unwahrscheinlich. Nach unserer Überzeugung wäre aber genau das ein entscheidender Faktor für den Erfolg einer BRICS-Währung.
Dominanz Chinas in der BRICS-Runde
Der wichtigste Grund, warum die BRICS-Staaten den Plan einer eigenen Alternativwährung zum Dollar verfolgen, sind die USA. In den Augen vieler Länder ist Amerika die treibende Kraft des Westens. Einzelne europäische Länder, aber auch die sonstigen Länder der G7, werden mehr oder weniger als Vasallen der USA betrachtet. Es geht also vor allem darum, sich von der Dominanz der USA zu befreien. Tatsächlich haben die USA innerhalb der G7-Staaten aufgrund ihrer enormen Wirtschaftsleistung eine überragende Bedeutung, wie die folgende Grafik zeigt.
Das Problem einer BRICS-Währung als Instrument der Emanzipation von den USA besteht aber darin, dass die wirtschaftliche Dominanz Chinas innerhalb der BRICS-Staaten sogar noch stärker ist als die Vormachtstellung der USA innerhalb der G7-Staaten, was durch folgende Grafik belegt wird.
Jedes Mitglied einer BRICS-Währung würde also die US-Dominanz gegen eine China-Dominanz tauschen. Nach Abwägung aller Pros und Contras wird sich mancher Staat sehr gut überlegen, ob das wirklich eine so gute Idee ist.
Auswirkungen auf die Kapitalmärkte
Was nun die möglichen Auswirkungen der Bestrebungen, eine BRICS-Währung zu etablieren, auf die Kapitalmärkte anbelangt, so gibt es vor allem zwei Überlegungen.
Auf der einen Seite könnte die geplante Golddeckung der Währung den Goldpreis stark beflügeln, da die teilnehmenden Staaten schließlich entsprechende Goldbestände halten müssten. Dies kann sein, kann aber genauso gut nach hinten losgehen, nämlich dann, wenn sich der gesamte Plan als Luftnummer erweist. In jedem Fall ist es eine Spekulation, die – wie jede andere Spekulation – aufgehen kann oder auch nicht.
Die zweite Überlegung betrifft den US-Dollar selbst. Sollte er wirklich ernsthafte Konkurrenz bekommen, so kann man mit seiner Abwertung rechnen. Von daher ist es durchaus naheliegend, die Dollar-Anteile – z. B. in einem internationalen Aktiendepot – entsprechend zu reduzieren. Hierbei raten wir allerdings zur Zurückhaltung. Nach unserer Überzeugung besteht kein akuter Handlungsbedarf. Die US-Währung wurde in ihrer bisherigen Geschichte schon häufiger für tot erklärt und hat sich bis dato immer wieder als die stärkste globale Währung erwiesen. Ähnliche Szenarien gab es schon bei Einführung des Euros – der ja auch als alternative Reservewährung gepriesen wurde – und man kann nun nicht behaupten, dass der US-Dollar vom Euro verdrängt wurde oder schwächer geworden wäre (vgl. nachfolgenden Chart seit Einführung des Euros als Buchgeld).
Auch hier haben wir es also mit einer erheblichen Spekulation zu tun.
Dazu kommt ein weiterer Aspekt: Sollte der US-Dollar tatsächlich nach und nach von einer attraktiveren Alternative verdrängt werden, dann wird sich das über kurz oder lang auch in der Aktienmarktkapitalisierung[3] niederschlagen, denn die Marktkapitalisierung ist keine statische Angelegenheit, sondern sie reflektiert letztlich auch sämtliche Marktanpassungen und damit auch eine mögliche Verdrängung des US-Dollars als Weltreservewährung. In entsprechend strukturierten Depots würde eine solche Entwicklung daher nach und nach – quasi automatisch – berücksichtigt. Nur eben nicht bereits in einer spekulativen Frühphase, sondern erst, nachdem sie sich an den Märkten auch tatsächlich durchgesetzt hat und Realität geworden ist. Und genau das ist der Sinn eines vernünftig strukturierten Wertpapierdepots: nicht spekulative Überlegungen abzubilden, sondern die Realität der Märkte.
Fazit: Aus der Perspektive des Anlagemanagements sehen wir daher keinen akuten Handlungsbedarf – weder was mögliche Goldinvestments noch was die Dollaranteile in international gestreuten Wertpapierdepots anbelangt.
Autor: Prof. Dr. Stefan May, Leiter Anlagestrategie und Produktentwicklung der Quirin Privatbank
Im Ranking der mächtigsten Volkswirtschaften der Welt liegen die Vereinigten Staaten noch immer auf Platz 1. Noch, denn China hat in den vergangenen Jahren deutlich aufgeholt. Daher haben die Amerikaner in den vergangenen zwei Jahren eine neue Industriepolitik entwickelt, um wieder an Stärke zu gewinnen. Wo die USA mit ihrer Volkswirtschaft gerade steht und welche Auswirkungen das auf den Anlagemarkt hat, hören Sie hier: