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Konjunktur im Stottergang

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Die Konjunktur hat es nicht leicht dieser Tage – und das nicht erst seit gestern. Noch immer sitzt der Schock der Corona-Rezession tief: unterbrochene Lieferketten, die der – trotz Pandemie-Beschränkungen – hohen Nachfrage nicht standhalten konnten und noch nicht wieder wie geschmiert laufen. Dazu kamen tektonische Verschiebungen am Arbeitsmarkt: Arbeitskräfte, die aus den von Corona lahmgelegten Bereichen in Boom-Branchen wechselten, finden trotz der Normalisierung in den letzten Monaten nur schwerlich wieder zurück. Und der Kriegsausbruch in der Ukraine führte dann auch noch zu einer Destabilisierung der Energieversorgung mit – speziell in Europa – gravierenden wirtschaftlichen Folgen. Vor allem diese Entwicklungen haben dazu beigetragen, dass sich die Konjunktur weltweit noch immer nicht in wünschenswertem Maße von den Corona-Rückschlägen erholt hat. Umso kritischer fällt der Blick auf die aktuellen Konjunkturdaten aus, mit immer den gleichen Fragen: Geht es wirtschaftlich weiter bergauf und kehrt die Wirtschaft damit zur „Vor-Corona-Stärke“ zurück? Oder befinden wir uns unmittelbar vor einer neuen, möglicherweise kräftigen Rezession? Auch für die weitere Entwicklung der Kapitalmärkte hat diese Frage durchaus Tragweite.

Konjunkturskepsis überwiegt

Aktuell dominieren bei diesen Fragen eher zurückhaltende Einschätzungen. Mit Blick auf jüngste Konjunkturdaten erscheint das auch durchaus gerechtfertigt. Nehmen wir z. B. die zuletzt veröffentlichten ersten Schätzungen zum realen (also um die Preisentwicklung bereinigten) Bruttoinlandsprodukt (BIP). Demnach dürfte in Deutschland das BIP im ersten Quartal 2023 im Vergleich zum Vorquartal stagniert sein. Nach der Schrumpfung im vierten Quartal 2022 ist somit eine Winterrezession[1] – die noch vor etwa einem Dreivierteljahr als sicher galt – knapp ausgeblieben. Eine gute Nachricht also? Nicht nur – denn für das Jahresauftaktquartal war eigentlich mit einem leicht positiven Wirtschaftswachstum gerechnet worden, das nun aber offenbar ausgeblieben ist. Zudem musste die Rate für das vierte Quartal 2022 auch etwas abwärts revidiert werden – statt wie bisher berechnet um 0,4 % schrumpfte das deutsche BIP tatsächlich um 0,5 %. Insgesamt also eine merkliche Verlangsamung der Konjunktur. Ein ähnlich enttäuschendes Bild zeigt sich auch in der Euro-Zone insgesamt – mit einem nur marginalen BIP-Wachstum von 0,1 % (gegenüber dem Vorquartal). In den USA fiel das Wachstum im ersten Quartal mit annualisiert 1,1 %[2] zwar etwas kräftiger aus, blieb aber deutlich hinter den relativ hohen Erwartungen zurück.

Enttäuschte Wachstumserwartungen

Inflation bleibt hartnäckig

Erschwerend kommt hinzu, dass sich die Inflation weiterhin hartnäckig zeigt. Relevant für die Konjunktur ist dies aus zwei Gründen. Erstens führen anhaltend hohe Inflationsraten dazu, dass sie aufgrund des dadurch verminderten Realeinkommens die Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen dämpfen – mit entsprechend negativem Einfluss auf das Wirtschaftswachstum. Zweitens dienten Zinssenkungen der Notenbanken in den letzten Jahren in konjunkturellen Schwächephasen häufig der wirtschaftlichen Stimulierung. Angesichts der nach wie vor erheblichen Inflationsdynamik können die maßgeblichen Notenbanken dieses Instrument derzeit aber nicht ohne Weiteres einsetzen. Denn höhere Inflationsraten verlangen zur Dämpfung eher nach höheren und nicht nach niedrigeren Zinsen. Es ist von daher gut möglich, dass trotz weiterhin relativ schwacher Wachstumszahlen weitere Zinserhöhungen bevorstehen – auch weil die Kerninflationsrate nach wie vor deutlich zu hoch ist (siehe folgende Grafik). Die Kerninflation klammert die üblicherweise stärker schwankenden Energie- und Lebensmittelpreise aus und fungiert daher als eine Art Indikator für die Hartnäckigkeit der Inflation in der Breite.

Inflation bleibt vorerst hartnäckig

Seltenes Phänomen: inverse Zinsstruktur 

Des Weiteren ist zu bedenken: In einigen wichtigen Volkswirtschaften – allen voran in den USA – hat sich seit einigen Monaten ein seltenes und in aller Regel konjunkturell besorgniserregendes Phänomen festgesetzt: die sogenannte inverse Zinsstruktur. Hiermit ist gemeint, dass sich die Höhe der allgemeinen Zinssätze bzw. Renditen geordnet nach (Rest-)Laufzeit derzeit untypisch darstellt. Denn üblicherweise steigen die Renditen mit der Laufzeit für Anleihen an. Bei einer inversen Zinsstruktur ist dies genau umgekehrt: Je länger die Laufzeit der betrachteten Anleihen noch ist, desto niedriger fällt die Rendite aus. Grafisch veranschaulicht dies die sogenannte Zinsstrukturkurve, deren aktuelle Ausprägung für US-Staatsanleihen die folgende Abbildung zeigt. Es wird deutlich, wie erheblich sich die kurz- und langfristigen Renditen von ihrer an sich üblichen Anordnung entfernt haben. Konjunkturell gesehen interessant ist dies nun vor allem deshalb, weil in der Vergangenheit eine solche Konstellation im Grunde ausnahmslos – mal mit geringerer und mal mit höherer Vorlaufzeit – eine anschließende Rezession ankündigte. 

Renditestruktur des US-Kapitalmarkts aktuell invers

Bei Anlagestrategien ist Standfestigkeit gefragt

Insgesamt verdeutlichen diese Aspekte, warum derzeit viele Konjunkturbeobachterinnen und -beobachter mit einer Rezession rechnen. Einige erwarten sogar, dass wir es nicht nur mit einem milden, sondern mit einem kräftigen Abschwung zu tun haben werden. Bei aller Plausibilität, die eine solche Vorhersage mit Blick auf die eben dargestellten Daten und Begleitumstände hat, darf allerdings nicht die Komplexität der gesamtwirtschaftlichen Zusammenhänge außer Acht gelassen werden. Gerade in konjunkturell sehr unsicheren und damit schwankungsintensiven Phasen, wie wir sie derzeit erleben, lassen sich Vorhersagen besonders schwer treffen. Die im ersten Quartal teils deutlich verfehlten Wachstumsschätzungen unterstreichen dies. Und auch das in der Vergangenheit so treffsichere Konjunkturorakel der inversen Zinsstruktur verliert bei genauerer Betrachtung einiges von seinem Zauber: Mal dauerte es wenige Monate, mal anderthalb Jahre, bis aus der Rezessionsvorhersage Wirklichkeit wurde.

Dies betonen wir vor allem deswegen, weil vermeintlich sichere Konjunktureintrübungen gerne von durchaus plausibel klingenden Anlageempfehlungen begleitet werden. Diese sollte man allerdings ignorieren. Natürlich liegt eine Rezession der Weltwirtschaft oder zumindest einzelner maßgeblicher Wirtschaftsräume in diesem Jahr in der Luft – sicher ausgemacht ist sie trotz der aktuell schwächeren Konjunkturdaten aber keinesfalls. Und ob wir es im Fall der Fälle dann tatsächlich auch mit einer schweren Rezession zu tun bekommen, ist reine Spekulation. Nicht zuletzt bleibt auch die Reaktion der Kapitalmärkte und dabei insbesondere der Aktienbörsen alles andere als klar vorhersehbar. Dafür gibt es einfach zu viele Faktoren, die eine wirtschaftliche Schwächephase auch positiv überlagern können. Es wäre nicht das erste Mal, dass sich die Aktienmärkte mitten in einer Rezession freundlich entwickeln, weil sie bereits eine mittelfristige Aufhellung antizipieren.  

Eine Vorhersage hingegen hat sich in den letzten Jahrzehnten immer wieder als zutreffend herausgestellt: Egal wie leicht oder schwer konjunkturelle Rückschläge und damit teilweise verbunden auch Rückgänge an den weltweiten Aktienmärkten gewesen sein mögen – langfristig haben sich die Börsen immer wieder nachhaltig erholt und vorhergehende Höchststände wurden im Zuge einer letztlich weiter wachsenden Weltwirtschaft übertroffen. Auch die aktuellen Unsicherheiten ändern an diesen ökonomischen Gesetzmäßigkeiten nichts. Daher lautet unsere Empfehlung, diszipliniert investiert und damit seiner aus guten Gründen gewählten Anlagestrategie treu zu bleiben.

Autor: Prof. Dr. Stefan May, Leiter Anlagestrategie und Produktentwicklung der Quirin Privatbank

 

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[1] Volkswirtinnen und Volkswirte sprechen üblicherweise von einer Rezession, wenn die Wirtschaft in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen (gegenüber dem jeweiligen Vorquartal) schrumpft.   
[2] In den USA wird das BIP-Quartalswachstum gegenüber dem Vorquartal üblicherweise auf das Gesamtjahr hochgerechnet.  

 

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