In einer Reihe von interessanten Leserzuschriften wurden wir ausdrücklich gebeten, dieses Thema aufzugreifen. Hier nur auszugsweise drei repräsentative Zuschriften:
„Ich habe neulich einen Artikel in der FAZ gelesen, der zusammengefasst zu dem Ergebnis kommt, dass passives Investieren zukünftig nicht mehr funktioniere. Als interessierter Laie fand ich den Artikel ganz schlüssig. Vielleicht nehmen Sie diesen Artikel auch zum Anlass, sich mit dem Evergreen aktives versus passives Investieren noch einmal auseinanderzusetzen.“
„Eine Analyse in der heutigen FAZ stellt aufgrund der hohen KGVs und der hohen Anteile an Tech-Aktien die Frage, ob wir einen Crash bzw. eine lange Seitwärtsbewegung am Markt sehen werden. Auf diese Gefahr würde man besser mit einer Anlage in Einzel-Aktien reagieren. (…) Es wäre gut, wenn Sie dieses Thema für einen Podcast aufnehmen können.“
„Da dieser Bericht für mich als Anleger nicht ganz verständlich ist und ich meine, dass der Bericht nicht ganz konform mit den Empfehlungen von Herrn May einhergeht, welche ich bisher als nachvollziehbar erachtete, hätte ich gerne eine Stellungnahme dazu.“
Der letzte der obenstehenden Hinweise trifft einen entscheidenden Punkt: Auch wenn der FAZ-Beitrag ganz gut formuliert ist und plausibel klingt, ist er nicht wirklich schlüssig. Er hat mich sogar an ein Bonmot des scharfzüngigen österreichischen Physikers Wolfgang Pauli erinnert, der einmal zur Argumentation eines Kollegen bemerkt hatte: „Das ist nicht nur nicht richtig, es ist nicht einmal falsch.“ So geht es mir offen gestanden auch mit dem FAZ-Artikel.
Wesentliche Inhalte
Doch worum geht es in dem Beitrag eigentlich? Wie schon erwähnt, wird argumentiert, dass „passives“ Anlegen in Zukunft nicht mehr funktionieren werde und daher aktives Wertpapiermanagement, also gezielte Titelselektion gepaart mit Timing-Strategien, erforderlich sei. Hierzu reiche aber die alleinige Betrachtung selbst langfristiger Zeitreihen nicht aus, sondern man müsse sämtliche Einflussfaktoren berücksichtigen. Und weiter:
„Jeder Anleger hat verschiedene Möglichkeiten, um sich eine Vorstellung über die zukünftige Entwicklung einer Anlageklasse zu machen. Er kann sich an den durchschnittlichen Renditen der Vergangenheit orientieren oder Zeitpunkte in der Vergangenheit suchen, in denen das wirtschaftliche Umfeld vergleichbar mit der aktuellen Situation war. Der Fokus auf Durchschnittsrenditen lässt sich mit passivem Investieren über lange Zeiträume umsetzen, während die Orientierung an der allgemeinen Situation einen makroökonomischen Ansatz mit aktivem Investieren erfordert.“
Demnach orientieren sich die Vertreter des sogenannten passiven Anlegens lediglich an den Durchschnittsrenditen der Vergangenheit, „während die Orientierung an der allgemeinen Situation einen makroökonomischen Ansatz mit aktivem Investieren erfordert.“
Im Wesentlichen bietet der Beitrag eine Mischung aus historischen Betrachtungen („Volcker-Schock“) sowie makroökonomischen und fundamentalen Bewertungsanalysen. Damit folgt er dem Schema üblicher Analysen, wie sie regelmäßig zu Dutzenden verfasst werden und in denen man versucht, aus mehr oder weniger stichhaltigen ökonomischen Überlegungen konkrete Folgerungen für die Finanzmärkte abzuleiten. So geht der Autor beispielsweise davon aus, dass aufgrund der aktuellen gesamtwirtschaftlichen Lage, insbesondere aufgrund der Bewertungs- und Staatschuldenniveaus sowie makroökonomischer Konstellationen, über kurz oder lang mit einer Korrektur an den Aktienmärkten zu rechnen ist. Wie wahrscheinlich das nun tatsächlich ist, darüber kann man trefflich streiten und ich möchte das an der Stelle auch nicht weiter thematisieren.
Stattdessen geht es mir um den folgenden Punkt: Das eigentliche Problem mit all den Argumenten des Beitrages ist, dass sie für sich gesehen ja überwiegend richtig sind. Und das ist auch der Grund, warum er zunächst ganz überzeugend wirkt. Wer z. B. könnte guten Gewissens der folgenden Aussage widersprechen:
„Die Zukunft wird etwas anderes sein als die bloße Fortschreibung der Vergangenheit. Deshalb ist es nicht sinnvoll, sich nur auf Durchschnitte oder Erfahrungen der Vergangenheit zu konzentrieren.“
Oder dieser Feststellung:
„Die alleinige Fokussierung auf die Renditen der Anlageklassen reicht nicht aus. Sie sind immer das Ergebnis des Zusammenspiels vieler verschiedener Einflussfaktoren, die sich in ihrer Gänze und Wechselwirkung nicht vollständig erfassen und bewerten lassen.“
Wie gesagt, das Problem ist nicht, dass diese Aussagen falsch wären. Sie sind es definitiv nicht. Nur belegen sie – anders als der FAZ-Gastautor suggeriert – in keiner Weise die eigentliche These des Beitrages – nämlich dass „die Zukunft eher gegen passive Anlagen in ETF“ spricht und „fundiertes aktives Investment (…) passives schlagen“ wird.
Um das zu begründen, reicht es nicht aus, auf die Komplexität der Zusammenhänge zu verweisen und festzustellen, dass deshalb die Renditen der Vergangenheit nicht einfach in die Zukunft fortgeschrieben werden dürfen. Denn das wird nun wirklich von niemandem ernsthaft bestritten – am wenigsten übrigens von den Vertreterinnen und Vertretern eines wissenschaftlich fundierten Anlagemanagements.
Die eigentliche Fragestellung …
Um zu entscheiden, ob man zukünftig tatsächlich nur noch mit aktivem Management erfolgreich sein kann, muss man die dafür relevante Frage thematisieren: nämlich, wie erfolgreich denn die aktiven Fonds tatsächlich sind, deren Management seit Jahrzehnten genau das macht, was im Beitrag als das einzig Vernünftige dargestellt wird: das ökomische Umfeld sauber zu analysieren und daraus Anlageentscheidungen abzuleiten.
Doch genau diese Frage wird im Beitrag an keiner einzigen Stelle auch nur erwähnt. Der Grund dafür ist offensichtlich: weil sie bereits seit Jahrzehnten von der unabhängigen wissenschaftlichen Finanzmarktforschung immer wieder eindeutig beantwortet wurde: Aktives Wertpapiermanagement liefert keine zuverlässige Mehrrendite. Wenn doch Mehrrenditen entstehen, dann sind die Ergebnisse statistisch nicht signifikant, sprich dem Zufall geschuldet. Stattdessen hat man es mit extrem erhöhten Kosten zu tun und ist deutlich größeren Risiken ausgesetzt.
… und die entsprechende empirische Evidenz
Die wissenschaftliche Literatur zu diesem Thema füllt mittlerweile ganze Bibliotheken, mit im Grunde immer dem gleichen negativen Resultat. Und diese eindeutigen Forschungsergebnisse gelten eben nicht nur in ruhigen, scheinbar „normalen“ Zeiten, sondern ganz besonders auch in ungewöhnlichen und extremen Marktphasen, von denen der Autor ja behauptet, dass wir uns aktuell in einer befinden.
Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser, ich erspare es Ihnen an dieser Stelle, die mittlerweile fast unüberschaubare wissenschaftliche Literatur zu diesem Thema zu zitieren. Stattdessen versichere ich Ihnen als Hochschullehrer, der sich seit über 30 Jahren mit dieser Fragestellung beschäftigt: Die empirischen Forschungsergebnisse sind in dieser Hinsicht eindeutig. Sie werden kaum erstzunehmende und unabhängige Finanzmarktforscherinnen oder -forscher finden, die ihre wesentlichen Aussagen bestreiten. Da es hinsichtlich der meisten anderen ökonomischen Themen normalerweise sehr konträre Ansichten gibt, ist das ein durchaus ungewöhnlicher Befund.
Trotzdem möchte ich die Ergebnisse im Folgenden zumindest kurz illustrieren. In regelmäßigen Abständen wird für unterschiedliche Regionen und Zeiträume untersucht, wie viele der aktiven Fonds ihre Vergleichsindizes übertreffen. Die Ergebnisse sind stets ernüchternd: Eine überwältigende Mehrheit der Fonds schafft das regelmäßig nicht. Allein daraus lässt sich schon schließen, dass man das „passive“ Investieren nicht so leichtfertig zu Grabe tragen sollte, wie das im FAZ-Beitrag geschieht.
Die Tatsache, dass die große Mehrheit der Fonds nicht in der Lage ist, ihre Benchmarks zu schlagen, hat unmittelbare Konsequenzen. Da speziell in Deutschland im Beratungsalltag nach wie vor Vertriebsprovisionen dominieren, werden von den Banken hauptsächlich aktiv gemanagte und entsprechend teure Fonds empfohlen. Das Resultat sieht man anhand der folgenden auf den US-Markt bezogenen Grafik, deren Ergebnisse sich auch auf andere Regionen übertragen lassen: Die Rendite, die Anlegerinnen und Anleger durchschnittlich am Aktienmarkt erzielen, bleibt weit hinter dem eigentlichen Renditepotenzial der Märkte zurück.