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Was die Zukunft spricht – aktives oder passives Management?

Prof. Dr. Stefan May
,
Leiter Anlagestrategie und Produktentwicklung
7
Minuten

Nachdem letzte Woche unser Vorstandsvorsitzender Karl Matthäus Schmidt die Inhalte eines SPIEGEL-Artikels zu sogenannten „Superprognostikern“ thematisiert hat, möchten wir im heutigen Logbuch über ein ähnliches Thema sprechen; und uns dabei ebenfalls auf einen Pressebeitrag beziehen. Er trägt den Titel „Die Zukunft spricht eher gegen passive [1] Anlagen in ETF“ – als Gastbeitrag erschienen immerhin in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) online am 03.07.2024.

Das Wichtigste in Kürze:

  • Die Entwicklungen an den Finanzmärkten hängen in komplexer Art und Weise von einer Vielzahl an Einflussfaktoren ab. Das wird im Grunde auch von niemandem bestritten.
  • Völlig anders verhält es sich jedoch mit der Frage, ob aus den damit verbundenen Einschätzungen erfolgreiche Anlageentscheidungen abgeleitet werden können. Hierzu gibt es in der Finanzbranche nach wie vor konträre Ansichten.
  • Die empirische Kapitalmarktforschung ist dabei in ihren Ergebnissen jedoch ziemlich eindeutig: Genau das ist nicht möglich.
  • Wissenschaftlich basiertes Anlegen ist nach wie vor das Beste für eine langfristig angelegte Vermögensbildung.

In einer Reihe von interessanten Leserzuschriften wurden wir ausdrücklich gebeten, dieses Thema aufzugreifen. Hier nur auszugsweise drei repräsentative Zuschriften:  

„Ich habe neulich einen Artikel in der FAZ gelesen, der zusammengefasst zu dem Ergebnis kommt, dass passives Investieren zukünftig nicht mehr funktioniere. Als interessierter Laie fand ich den Artikel ganz schlüssig. Vielleicht nehmen Sie diesen Artikel auch zum Anlass, sich mit dem Evergreen aktives versus passives Investieren noch einmal auseinanderzusetzen.“
„Eine Analyse in der heutigen FAZ stellt aufgrund der hohen KGVs und der hohen Anteile an Tech-Aktien die Frage, ob wir einen Crash bzw. eine lange Seitwärtsbewegung am Markt sehen werden. Auf diese Gefahr würde man besser mit einer Anlage in Einzel-Aktien reagieren. (…) Es wäre gut, wenn Sie dieses Thema für einen Podcast aufnehmen können.“
„Da dieser Bericht für mich als Anleger nicht ganz verständlich ist und ich meine, dass der Bericht nicht ganz konform mit den Empfehlungen von Herrn May einhergeht, welche ich bisher als nachvollziehbar erachtete, hätte ich gerne eine Stellungnahme dazu.“

Der letzte der obenstehenden Hinweise trifft einen entscheidenden Punkt: Auch wenn der FAZ-Beitrag ganz gut formuliert ist und plausibel klingt, ist er nicht wirklich schlüssig. Er hat mich sogar an ein Bonmot des scharfzüngigen österreichischen Physikers Wolfgang Pauli erinnert, der einmal zur Argumentation eines Kollegen bemerkt hatte: „Das ist nicht nur nicht richtig, es ist nicht einmal falsch.“ So geht es mir offen gestanden auch mit dem FAZ-Artikel.

Wesentliche Inhalte

Doch worum geht es in dem Beitrag eigentlich? Wie schon erwähnt, wird argumentiert, dass „passives“ Anlegen in Zukunft nicht mehr funktionieren werde und daher aktives Wertpapiermanagement, also gezielte Titelselektion gepaart mit Timing-Strategien, erforderlich sei. Hierzu reiche aber die alleinige Betrachtung selbst langfristiger Zeitreihen nicht aus, sondern man müsse sämtliche Einflussfaktoren berücksichtigen. Und weiter:

„Jeder Anleger hat verschiedene Möglichkeiten, um sich eine Vorstellung über die zukünftige Entwicklung einer Anlageklasse zu machen. Er kann sich an den durchschnittlichen Renditen der Vergangenheit orientieren oder Zeitpunkte in der Vergangenheit suchen, in denen das wirtschaftliche Umfeld vergleichbar mit der aktuellen Situation war. Der Fokus auf Durchschnittsrenditen lässt sich mit passivem Investieren über lange Zeiträume umsetzen, während die Orientierung an der allgemeinen Situation einen makroökonomischen Ansatz mit aktivem Investieren erfordert.“

Demnach orientieren sich die Vertreter des sogenannten passiven Anlegens lediglich an den Durchschnittsrenditen der Vergangenheit, „während die Orientierung an der allgemeinen Situation einen makroökonomischen Ansatz mit aktivem Investieren erfordert.“

Im Wesentlichen bietet der Beitrag eine Mischung aus historischen Betrachtungen („Volcker-Schock“) sowie makroökonomischen und fundamentalen Bewertungsanalysen. Damit folgt er dem Schema üblicher Analysen, wie sie regelmäßig zu Dutzenden verfasst werden und in denen man versucht, aus mehr oder weniger stichhaltigen ökonomischen Überlegungen konkrete Folgerungen für die Finanzmärkte abzuleiten. So geht der Autor beispielsweise davon aus, dass aufgrund der aktuellen gesamtwirtschaftlichen Lage, insbesondere aufgrund der Bewertungs- und Staatschuldenniveaus sowie makroökonomischer Konstellationen, über kurz oder lang mit einer Korrektur an den Aktienmärkten zu rechnen ist. Wie wahrscheinlich das nun tatsächlich ist, darüber kann man trefflich streiten und ich möchte das an der Stelle auch nicht weiter thematisieren.

Stattdessen geht es mir um den folgenden Punkt: Das eigentliche Problem mit all den Argumenten des Beitrages ist, dass sie für sich gesehen ja überwiegend richtig sind. Und das ist auch der Grund, warum er zunächst ganz überzeugend wirkt. Wer z. B. könnte guten Gewissens der folgenden Aussage widersprechen:

„Die Zukunft wird etwas anderes sein als die bloße Fortschreibung der Vergangenheit. Deshalb ist es nicht sinnvoll, sich nur auf Durchschnitte oder Erfahrungen der Vergangenheit zu konzentrieren.“

Oder dieser Feststellung:

„Die alleinige Fokussierung auf die Renditen der Anlageklassen reicht nicht aus. Sie sind immer das Ergebnis des Zusammenspiels vieler verschiedener Einflussfaktoren, die sich in ihrer Gänze und Wechselwirkung nicht vollständig erfassen und bewerten lassen.“

Wie gesagt, das Problem ist nicht, dass diese Aussagen falsch wären. Sie sind es definitiv nicht. Nur belegen sie – anders als der FAZ-Gastautor suggeriert – in keiner Weise die eigentliche These des Beitrages – nämlich dass „die Zukunft eher gegen passive Anlagen in ETF“ spricht und „fundiertes aktives Investment (…) passives schlagen“ wird.

Um das zu begründen, reicht es nicht aus, auf die Komplexität der Zusammenhänge zu verweisen und festzustellen, dass deshalb die Renditen der Vergangenheit nicht einfach in die Zukunft fortgeschrieben werden dürfen. Denn das wird nun wirklich von niemandem ernsthaft bestritten – am wenigsten übrigens von den Vertreterinnen und Vertretern eines wissenschaftlich fundierten Anlagemanagements.

Die eigentliche Fragestellung …

Um zu entscheiden, ob man zukünftig tatsächlich nur noch mit aktivem Management erfolgreich sein kann, muss man die dafür relevante Frage thematisieren: nämlich, wie erfolgreich denn die aktiven Fonds tatsächlich sind, deren Management seit Jahrzehnten genau das macht, was im Beitrag als das einzig Vernünftige dargestellt wird: das ökomische Umfeld sauber zu analysieren und daraus Anlageentscheidungen abzuleiten.

Doch genau diese Frage wird im Beitrag an keiner einzigen Stelle auch nur erwähnt. Der Grund dafür ist offensichtlich: weil sie bereits seit Jahrzehnten von der unabhängigen wissenschaftlichen Finanzmarktforschung immer wieder eindeutig beantwortet wurde: Aktives Wertpapiermanagement liefert keine zuverlässige Mehrrendite. Wenn doch Mehrrenditen entstehen, dann sind die Ergebnisse statistisch nicht signifikant, sprich dem Zufall geschuldet. Stattdessen hat man es mit extrem erhöhten Kosten zu tun und ist deutlich größeren Risiken ausgesetzt.

… und die entsprechende empirische Evidenz

Die wissenschaftliche Literatur zu diesem Thema füllt mittlerweile ganze Bibliotheken, mit im Grunde immer dem gleichen negativen Resultat. Und diese eindeutigen Forschungsergebnisse gelten eben nicht nur in ruhigen, scheinbar „normalen“ Zeiten, sondern ganz besonders auch in ungewöhnlichen und extremen Marktphasen, von denen der Autor ja behauptet, dass wir uns aktuell in einer befinden.

Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser, ich erspare es Ihnen an dieser Stelle, die mittlerweile fast unüberschaubare wissenschaftliche Literatur zu diesem Thema zu zitieren. Stattdessen versichere ich Ihnen als Hochschullehrer, der sich seit über 30 Jahren mit dieser Fragestellung beschäftigt: Die empirischen Forschungsergebnisse sind in dieser Hinsicht eindeutig. Sie werden kaum erstzunehmende und unabhängige Finanzmarktforscherinnen oder -forscher finden, die ihre wesentlichen Aussagen bestreiten. Da es hinsichtlich der meisten anderen ökonomischen Themen normalerweise sehr konträre Ansichten gibt, ist das ein durchaus ungewöhnlicher Befund.

Trotzdem möchte ich die Ergebnisse im Folgenden zumindest kurz illustrieren. In regelmäßigen Abständen wird für unterschiedliche Regionen und Zeiträume untersucht, wie viele der aktiven Fonds ihre Vergleichsindizes übertreffen. Die Ergebnisse sind stets ernüchternd: Eine überwältigende Mehrheit der Fonds schafft das regelmäßig nicht. Allein daraus lässt sich schon schließen, dass man das „passive“ Investieren nicht so leichtfertig zu Grabe tragen sollte, wie das im FAZ-Beitrag geschieht.

Die Tatsache, dass die große Mehrheit der Fonds nicht in der Lage ist, ihre Benchmarks zu schlagen, hat unmittelbare Konsequenzen. Da speziell in Deutschland im Beratungsalltag nach wie vor Vertriebsprovisionen dominieren, werden von den Banken hauptsächlich aktiv gemanagte und entsprechend teure Fonds empfohlen. Das Resultat sieht man anhand der folgenden auf den US-Markt bezogenen Grafik, deren Ergebnisse sich auch auf andere Regionen übertragen lassen: Die Rendite, die Anlegerinnen und Anleger durchschnittlich am Aktienmarkt erzielen, bleibt weit hinter dem eigentlichen Renditepotenzial der Märkte zurück.

Schlussfolgerungen

  • Die Quirin Privatbank steht für einen wissenschaftlichen und nicht auf aktuellen Markteinschätzungen beruhenden Investmentansatz. Das ist für uns aber kein Dogma.
  • Sollte sich morgen – beispielsweise durch eine KI – ein Ansatz ergeben, der nachweislich besser ist, dann werden wir die Ersten sein, die ihn übermorgen in unserem Haus einführen werden. Stand heute ist das jedoch nicht der Fall.
  • Der besprochene FAZ-Gastbeitrag liefert kein einziges stichhaltiges Argument, das uns in der Hinsicht zum Umdenken veranlassen könnte.
  • Wissenschaftlich basiertes Anlegen ist nach wie vor das Beste für eine langfristig angelegte Vermögensbildung.

[1] Leider wird der Begriff „passiv“ häufig für Managementansätze verwendet, die darauf verzichten, aus kurz- und mittelfristigen Markteinschätzungen konkrete Anlageentscheidungen abzuleiten. Tatsächlich ist dieser Verzicht aber oft mit einer Vielzahl eher „handwerklicher“ Aktivitäten verbunden – nur eben nicht mit Marktprognosen. Wissenschaftliches Investieren bedeutet also nicht Passivität im wörtlichen Sinne.

Disclaimer/rechtliche Hinweise

Der Beitrag ist mit größter Sorgfalt bearbeitet worden. Er enthält jedoch lediglich unverbindliche Analysen und Erläuterungen. Die Angaben beruhen auf Quellen, die wir für zuverlässig halten, für deren Richtigkeit, Vollständigkeit und Aktualität wir aber keine Gewähr übernehmen können. Die Informationen wurden einzig zu Informations- und Marketingzwecken zur Verwendung durch den Empfänger erstellt und können keine individuelle anlage- und anlegergerechte Beratung ersetzen.

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Über den Autor
Prof. Dr. Stefan May

Prof. Dr. Stefan May ist als Leiter Anlagestrategie und Produktentwicklung seit 2014 bei der Quirin Privatbank tätig und hat jahrzehntelange Erfahrung in der Kapitalmarktpraxis. Er ist zudem seit rund 30 Jahren Professor für Finanzmarktanalyse und Portfoliomanagement an der Technischen Hochschule Ingolstadt (mittlerweile emeritiert). Prof. May hatte maßgeblichen Anteil an der Einführung unseres auf wissenschaftlichen Erkenntnissen der Kapitalmarktforschung basierenden Anlagekonzepts. Als Vorsitzender des Anlageausschusses der Bank ist er – gemeinsam mit dem Team der Vermögensverwaltung – nach wie vor für die fortlaufende Gestaltung und Optimierung der Anlagestrategien verantwortlich.

Hören Sie passend zum Thema unseren Podcast „klug anlegen“

Dass Anlegerinnen und Anleger immer noch stark auf aktive Fonds setzen, hat nicht nur etwas mit der Vertriebsmaschinerie der Provisionsbanken zu tun, sondern auch mit psychologischen Aspekten. Der Begriff „Aktivität“ ist meist positiver belegt als „Passivität“ bzw. als das „Investiertbleiben“ auch in Krisenzeiten. Wenn Sie sich für weitere psychologische Phänomene bei der Geldanlage interessieren, hören Sie gern in die passende Podcast-Folge rein: „Typische Anlegerfehler: Gier und Panik – welche Psychofallen lauern noch an der Börse?“

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