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Die Zinswende ist (mal wieder) abgesagt

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Es ist ein Phänomen der nun schon langjährigen Niedrigzinsphase, dass die Kapitalmarktteilnehmer in gewisser Regelmäßigkeit von der Angst vor nachhaltig steigenden Anleiherenditen gepackt werden. Immer wieder steigt sie an den Märkten schleichend empor wie ein böser Geist aus der Flasche. Anschließend haben sich die steigenden Anleiherenditen dann aber wieder verflüchtigt und damit auch die entsprechenden Anlegersorgen.

Vieles spricht dafür, dass es sich mit den jüngsten, vergleichsweise starken Renditeanstiegen (vor allem in den USA) und den mit ihnen verbundenen Ängsten wieder so verhält.

Erhöhte /US-)Rentendynamik – wenig Brisanz

Bevor wir an dieser Stelle die Gründe dafür erläutern, möchten wir noch einmal kurz darauf eingehen, wieso Renditeanstiege überhaupt so kritisch beäugt werden. Intuitiv verständlich ist die Angst vor steigenden Renditen nämlich nicht unbedingt, denn das extrem niedrige Renditeniveau hat unbestreitbar auch den schwerwiegenden Nachteil der Unattraktivität von relativ sicheren Geldanlagen im Anleihe- und Festgeldsektor.

Allerdings wiegt die Sehnsucht nach wieder vernünftig rentierlichen Anleihen offenbar nicht so schwer wie die Angst vor dem Druck auf die Aktienmärkte, der durch steigende Renditeniveaus erzeugt werden kann. Steigende Anleiherenditen bedeuten für Aktien nämlich zunehmende Konkurrenz von der Anleiheseite. Zudem haben ansteigende Anleiherenditen auch Einfluss auf die künftige Bezahlbarkeit der globalen Schuldenlast. Die höhere Rendite von heute wird zum Gradmesser der Refinanzierungszinsen von morgen. Vor allem der US-Staatsanleihenmarkt bestimmt nicht nur die Refinanzierungskosten des amerikanischen Staates und Privatsektors, sondern – aufgrund seiner weltweiten Leitfunktion – direkt und indirekt die Refinanzierungskosten rund um den Globus. (Stark) steigende Anleiherenditen führen somit auch oft zu Sorgen über die Finanzstabilität von Unternehmen und somit über die Stabilität des Aktienmarktes.

Die Renditeanstiege der letzten Monate speisten sich vor allem aus zwei Kanälen: 

  • Erwartung einer stärkeren Konjunkturerholung im Zuge einer erfolgreichen Pandemie-Bekämpfung
    Diese Erwartung führte zu Abverkäufen von Anleiheinhabern (Anleihekurse fallen) und im Umkehrschluss zu steigenden Anleiherenditen, auch weil sie mit der Erwartung nachfragebedingt steigender Preise verbunden ist. Anleiheanleger achten penibel auf die Entwicklung der Preissteigerungsraten, denn bei steigender Geldentwertung werden ihre ohnehin schon mageren Erträge nach Abzug der Inflationsrate weiter empfindlich geschmälert.
  • Kurzfristige Spekulationsgeschäfte
    Spekulativ orientierte Marktteilnehmer haben versucht, durch eine entsprechende Positionierung auf der Welle der sinkenden Anleihekurse mitzureiten und haben den Trend damit verstärkt.    

Folge 51: 1 Jahr klug anlegen – Geldanlage von A bis Z

Warum der Renditeanstieg an den Märkten kurzfristig an seine Grenze stoßen wird oder sie womöglich schon erreicht hat?

  • Konjunkturerholung mit gebremstem Schaum
    Die nachhaltige Konjunkturerholung wird kommen, da sind sich im Grunde alle Konjunkturbeobachter einig. Sie wird sich aber auf der Zeitachse wahrscheinlich etwas nach hinten verschieben. Und auch die Dynamik der Erholung in den nächsten Monaten dürften einige Marktteilnehmer überschätzt haben. Besonders kleine und mittlere Betriebe könnten in den nächsten Monaten noch einmal verstärkt unter Druck geraten, mit entsprechender Wirkung auf die Großen – denn schließlich sind viele dieser kleineren Firmen auch Zulieferer von Weltkonzernen. Verantwortlich dafür sind vor allem stockende Impfkampagnen in einigen Teilen der Welt und die hartnäckigen Virusmutationen. Sie führen dazu, dass der ohnehin stotternde Wirtschaftsmotor und somit auch die Renditeanstiege ausgebremst werden.
  • Inflationssprünge dürften ausbleiben
    Eng mit der gebremsten Konjunkturerholung verwoben sind Dämpfer für die Preisentwicklung. Es sieht derzeit nicht danach aus, dass die Firmeninvestitionen und der private Konsum derart stark anspringen, dass dies zu stark steigenden Preisen führt. Auf der Konsumseite spielt dabei vor allem die bereits länger anhaltende Unsicherheit in Sachen Pandemie eine Rolle. Sie hat sich in gewisser Weise verfestigt und wird sich wahrscheinlich erst Schritt für Schritt lösen. Allein die Gefahr, dass es zu neuen Infektionswellen kommen könnte und dass der eigene Arbeitsplatz weiterhin wanken könnte, kann dazu führen, dass der Konsum zunächst noch stärker gebremst wird als zunächst erhofft. Andererseits sind die globalen Lieferketten zum Glück mittlerweile wieder so gut eingerastet, dass auch von der Angebotsseite her kein erheblicher Preisdruck zu erwarten ist, bedingt beispielsweise durch starke Lieferengpässe oder extrem hohe Frachtraten.      
  • Währungshüter in Habachtstellung
    Die ultralockere Geldpolitik der Notenbanken wird vor diesen Hintergründen weiter Bestand haben. Bei Bedarf werden die Währungshüter auch bereit sein, nachzulegen, sei es durch nochmals verstärkte Anleiheaufkäufe am Markt – diese immense Nachfrage zieht die Kurse nach oben und drückt vice versa die Renditen – oder durch andere, ggf. auch unkonventionelle Maßnahmen. Speziell die Amerikaner haben schon bewiesen, dass sie auch an dieser Stelle kreativ sein können. In jüngsten Äußerungen untermauerten Sprecher der Notenbank, dass sie bis 2023 mit einem Nullniveau in Bezug auf den kurzfristigen Leitzins rechnen. Uns würde es nicht wundern, wenn dabei gedanklich noch das Wörtchen „mindestens“ vor der Jahreszahl platziert wäre. Denn auch bei einer stärkeren Konjunkturerholung dürfte die US-Notenbank (und auch andere relevante Währungshüter) alles daransetzen, die globalen Schuldenberge im Staats-, Firmen-und Privatsektor finanzierbar zu halten. Erratische Bewegungen an der Renditefront passen dabei nicht ins Bild.

Corona stoppt die Normalisierung des Leitzinsniveaus

  • Spekulanten verlieren die Lust
    Angesichts der skizzierten ökonomischen Entwicklungen und des zuletzt gebremsten Renditeanstiegs gehen wir davon aus, dass die Spekulationen auf eine anhaltende Renditedynamik an Reiz verlieren werden. Sie dürften sich in den nächsten Wochen weiter verflüchtigen.
  • „Sichere-Hafen-Anlagen“ auch weiterhin gesucht
    Auch wenn es die aktuelle Aktienmarktentwicklung nicht suggeriert, ist die Unsicherheit an den Kapitalmärkten aufgrund der Virusmutationen und der z. T. holprigen Impfentwicklungen weiter hoch. Trotz steigender Aktienkurse dürften in den letzten Wochen einige Zuflüsse in den Anleihemarkt (vor allem in Staatsanleihen) auch sicherheitsgetrieben gewesen sein. Wir gehen davon aus, dass die Nachfrage nach risikoarmen Anlagen in den nächsten Quartalen weiterhin hoch bleiben wird.
  • Großinvestoren auf der Pirsch
    Seit Ende 2011 (!) kennen Investoren bei Anleiherenditen im Trend nur eine Entwicklung: hin zu immer niedrigeren Niveaus bis unter die Nulllinie (insbesondere nach Abzug der Inflation), unterbrochen von nur kurzen Ausbrüchen nach oben. Dabei konnte man im Zeitverlauf immer wieder beobachten, dass speziell große Anlegeradressen, wie Versicherer oder Pensionsfonds, schnell zur Stelle sind, wenn es zu merklichen Anleiherenditesteigerungen kommt. Halbwegs positive Renditen werden sofort gern eingebucht. Allein das bremst einen aufflackernden Renditeanstieg ab bzw. macht ihm womöglich sogar den Garaus.

Folge 51: 1 Jahr klug anlegen – Geldanlage von A bis Z

Fazit

Die geschilderten Hintergründe sind ein wichtiger Teil des Treibstoffs, der die Aktienmärkte in den letzten Wochen in höhere Gefilde geführt hat. Sie wiegen offenbar schwerer als die Enttäuschung über die verschleppte Konjunkturerholung und die anhaltenden Corona-Unsicherheiten.

Das sehr wahrscheinlich auch auf längere Sicht niedrige Renditeniveau bleibt ein starker Stützpfeiler für die Aktienmärkte. Dass Regierungen und Notenbanken ein erhebliches Interesse daran haben, die Renditen und somit letztlich auch die Refinanzierungskosten der Wirtschaft im Zaum zu halten, festigt die Perspektiven für die Aktienmärkte trotz des bereits erreichten Kursniveaus. Dieses Interesse wird auch im Falle einer nachhaltigen Wirtschaftserholung mit anziehenden Inflationsraten nicht erlahmen. Damit dürfte aus unserer Sicht die in den letzten Wochen vielfach schon ausgerufene Zins- bzw. Renditewende ein weiteres Mal verschoben worden sein.

Erhöhtes Aktienkursniveau in den USA – langfristige Chancen bleiben

Erhöhtes Aktienkursniveau in Europa – langfristige Chancen bleiben

Autor: Prof. Dr. Stefan May, Leiter Anlagemanagement der Quirin Privatbank, und sein Team

 

Besonders ans Herz legen möchte ich Ihnen heute auch die Jubiläumsausgabe unseres Podcasts „klug anlegen“. Seit einem Jahr sind wir on air – und haben uns anlässlich des ersten Geburtstages etwas ganz Besonderes überlegt. Den Podcast gibt es diesmal nicht nur in akustischer, sondern auch in visueller Form. Und: Die Fragen haben diesmal Sie, unsere Hörerinnen und Hörer, gestellt. Viel Spaß beim Reinschauen oder Reinhören!

 

Disclaimer/rechtliche Hinweise

Der Beitrag ist mit größter Sorgfalt bearbeitet worden. Er enthält jedoch lediglich unverbindliche Analysen und Erläuterungen. Die Angaben beruhen auf Quellen, die wir für zuverlässig halten, für deren Richtigkeit, Vollständigkeit und Aktualität wir aber keine Gewähr übernehmen können. Die Informationen wurden einzig zu Informations- und Marketingzwecken zur Verwendung durch den Empfänger erstellt und können keine individuelle anlage- und anlegergerechte Beratung ersetzen.

Die Informationen stellen keine Anlage- Rechts- oder Steuerberatung, keine Anlageempfehlung und keine Aufforderung zum Erwerb oder zur Veräußerung dar. Die Vervielfältigung und Weiterverbreitung ist nicht erlaubt. Kein Teil darf (auch nicht auszugsweise) ohne unsere ausdrückliche vorherige schriftliche Genehmigung nachgedruckt oder in ein Informationssystem übertragen oder auf irgendeine Weise gespeichert werden, und zwar weder elektronisch, mechanisch, per Fotokopie noch auf andere Weise.

 

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